Interview mit dem Trend- und Zukunftsforscher Ali Mahlodji:
„Junge Menschen wollen in der Arbeit nicht mehr verbrennen“
Ali Mahlodji: „Meine Generation ist zu einer Generation Burnout geworden“.„Die Generation Z sagt: Ich will nicht bis zur Pension warten, bis ich mein Leben genießen kann!“ © Gregor Nesvadba
Sie sind unsolidarisch, illoyal, selbstsüchtig, wollen viel Freizeit und keine Verantwortung übernehmen. Millenials, also Menschen, die zwischen 1982 bis 1996 geboren wurden, haben keinen guten Ruf in der Arbeitswelt – fragt man Unternehmensberater und CEOs. Die Mächtigsten in Unternehmen machen sich Sorgen, wer als Führungskraft nachkommen wird. Es gibt einen Führungskräftemangel, die Jungen wollen keine Verantwortung übernehmen, sagen sie. Aber stimmt das wirklich? Die „Wiener Zeitung“ hat mit dem Trend- und Zukunftsforscher Ali Mahlodji gesprochen.
„Wiener Zeitung“: Österreichs Chefetagen jammern. Es gebe einen Führungskräftemangel. Junge Menschen wollen kaum Verantwortung übernehmen. Ist da was dran?
Ali Mahlodji kam mit zwei Jahren als Flüchtling nach Österreich. Als Schulabbrecher machte er die verschiedensten Jobs und geriet ins Burnout. 2011 gründete er die Berufsorientierungsplattform „whatchado“. 2017 erschien Mahlodjis Buch „Und was machst Du so?“ im Econ Verlag. Seit 2018 arbeitet er als Trend- und Zukunftsforscher und ist Verfasser des Work Report 2019, den er zusammen mit dem Zukunftsinstitut herausbrachte.
Ali Mahlodji: Ganz viele alte weiße Männer sagen, junge Menschen wollen keine Verantwortung übernehmen und nicht Führungskraft sein. Die jungen Menschen wollen aber sehr wohl Verantwortung übernehmen. Sie wollen jedoch in einem System mit alten Regeln nicht mehr mitspielen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Greta Thunberg, eine 16-Jährige, die die Führungsrolle einer komplett neuen Generation von jungen Menschen übernommen hat, die auch ihre Eltern und andere Erwachsene anstiftete, auf die Straße zu gehen. Das ist Führungskraft pur. Als vor wenigen Jahren in den USA wiederholt Menschen gestorben sind bei Schießereien in Schulen, waren es wieder junge Menschen, die auf die Straße gegangen sind, mobil gemacht und demonstriert haben. Junge Menschen übernehmen also sehr wohl Führung – aber sie glauben nicht mehr jeden Blödsinn.
Wie kommt es dann zu dem Eindruck, der Nachwuchs sei nicht interessiert?
Bei den klassischen Führungskräften ist das Dilemma, dass sie immer von sich selber ausgehen. Und die klassischen Führungskräfte heute sind in der Überzahl alte weiße Männer. Die sind in einer Welt aufgewachsen, in denen ihnen in der Industrialisierung versprochen worden ist: wenn du alles richtig machst, hast du erstens lebenslang einen tollen Job und zweitens bekommst du Statussymbole.
Und das interessiert die jungen Menschen nicht mehr?
Das Wertesystem eines Menschen wird zwischen dem 8. und 12. Lebensjahr festgelegt. Erst mit etwa zwölf Jahren ist unser Gehirn in der Verfassung geopolitische Zusammenhänge auf unser Leben umzumünzen. Die Dinge, die mit 12, 13 Jahren passieren, prägen unser Wertesystem. Und wenn ein Kind etwa im Jahr 1996 geboren wurde, dann ist es in den ersten Jahren mit der klassischen Arbeitsdenke aufgewachsen: lebenslanger Job, mache eine sichere Ausbildung, mache das, was die Leute gut finden, hackel brav und dann kommt die Pension. Dieses Kind war dann 13 Jahre alt, als die Finanzkrise eintrat. Das Versprechen der Arbeitgeber gab es ab dann nicht mehr.
Also sind die Jungen desillusioniert und enttäuscht?
In der Finanzkrise haben auch ganz große Unternehmen wie Kapsch oder Siemens viele Menschen rausgeschmissen. Und die Erwachsenen waren damals alle enttäuscht. Aber die Enttäuschung ist das Ende unserer Täuschung. Wir haben uns oft täuschen lassen von dem alten System, von den erwähnten Glaubenssätzen. Heute merken junge Menschen – nicht nur die 16-jährigen, auch die 25- und 35-jährigen – die Sicherheitssysteme Arbeitgeber und Staat existieren so nicht mehr. Junge Menschen sagen, ich bekomme zwar schon eine Pension, aber erstens will ich nicht so lange warten, bis ich mein Leben genießen kann und zweitens werde ich nicht mehr die Pension bekommen, von der meine Großeltern erzählt haben. Das ist nicht mein Lebensziel.
Ist die junge Generation verwöhnt?
Wir verzeichnen den höchsten Wohlstand aller Zeiten. Die Menschen fühlen sich aber immer unsicherer. Und die Jugendlichen sagen: pass auf, ich hau mich schon wo gescheit rein, aber sicher nicht mehr um jeden Preis. Und ich will nicht verbrannt werden in der Arbeit. Und viele Unternehmen und NGOs merken, wenn sie den Leuten nicht was anbieten, wo sie in der Arbeitszeit etwas Sinnvolles machen können, dann werden sie die Leute verlieren.
Und wie bringt man „Sinn“ ins Unternehmen?
Ich war bei einem der Top 4 Beratungsunternehmen weltweit. Die haben mir gesagt, erst seit sie begonnen haben den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, während der Arbeitszeit ein paar Stunden sich um soziale Projekte zu kümmern, sind sie total überrascht, wie die jungen Leute sich darum reißen, sich mit ihren Ideen einzubringen. Die Definition für Verantwortung hat sich verändert. Firmen wie ÖAMTC oder Microsoft bieten bezahlte Papawochen an. Das gibt Vätern die Möglichkeit, Zeit für ihre Familie und für ihre Kinder zu haben. Das ist pure Verantwortung. Die Belohnungssysteme haben sich radikal verändert.
Das heißt, das Problem liegt bei den Arbeitgebern – sie haben ein Vertrauens-, ein Sinnproblem?
Meine Generation, die Generation Y, ab Jahrgang 1981, die hat sich ständig reingehaut. Sie war die erste Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist und plötzlich ganz viele Möglichkeiten hatte. Die Generation Y hat zum ersten Mal ein Firmentelefon gehabt, ein Handy. Das war ja super – da kann man am Abend noch ein Email schreiben. Und die Generation Z, die ganz Jungen, die haben sich das angeschaut und sagen nun, das will ich nicht. Wofür?
Ist die Abscheu berechtigt?
2007 bis 2017 hat sich in den reichen Ländern der Erde die Verschreibung von Antidepressiva bei den 25 bis 35-Jährigen mehr als verdoppelt. Die Generation, die aufgewachsen ist mit, du kannst alles machen, dir soll es mal besser gehen – in einer Gesellschaft, wo schon alles da ist – hat massive psychische Probleme. Die alten Glaubenssätze passen nicht mehr, die kommen von Menschen, die den Krieg, die Nachkriegszeit und das Aufbauen erlebt haben. Das Problem ist, uns kann es nicht noch besser gehen. Deshalb ist meine Generation zu der Generation Burnout geworden.
Sind die Jungen undankbar. Sie haben alles, sind aber schlecht drauf…
Die Elterngeneration findet die Jugend pessimistisch – aber die jungen Leute sagen, sie sind realistisch und pragmatisch. Sie lassen sich nicht mehr für dumm verkaufen. Aber wenn sie Projekte finden, die sie für sinnvoll erachten, dann laufen die die Extrameile. Ich bin jede Woche in Österreich unterwegs, in kleinen Gemeinden, nicht nur in den großen Städten, und da gibt es unglaublich tolle Jugendprojekte. Die machen was für die Community, sind engagiert, schauen, dass ältere Leute eingebunden werden in Aktivitäten, usw.
Gibt es Unternehmen, die das Problem begriffen haben? Was tun die?
Ich kenne Unternehmen, die diese Probleme stark haben. Das kann eine Lufthansa sein, große Automobilhersteller, aber das erlebe ich auch in einer kleinen Bäckerei oder Zimmerei. Und die, die keine Probleme haben mit diesem Vertrauensverlust und dem Generationenkonflikt, sind Unternehmen, die darauf achten, dass es intern Generationengespräche gibt. Da gibt es bewusste Gesprächsrunden, wo Lehrling und Meister zusammensitzen und miteinander reden. Jeder erzählt aus seiner Lebenswelt, von seinem Wissen. Die ÖBB suchen in den nächsten Jahren 10.000 Leute, die beginnen jetzt mit Generationengesprächen. Daimler beginnt mit Generationengesprächen, wo sie sogar Mitarbeiter aus der Pension zurückholen und sie mit den ganz Jungen zusammenspannen, damit sie voneinander lernen.
Die Babyboomer gehen in Pension und müssen nachbesetzt werden. Wie wird das Wissen der Alten übergeben?
Die Unternehmen, die mit den Generationengesprächen erfolgreich sind, haben den Älteren klar machen können, dass sie die Weisheit des Lebens haben und die ganzen Abkürzungen kennen. Sie sind die Mentoren der Jugendlichen. Und die Älteren lernen aber auch etwas über neue digitale Kommunikation etwa. In diesen Unternehmen geht es auch ganz groß um Wertschätzung – und das macht unglaublich viel aus. Da geht es nicht um Geld und externe Berater. Es geht darum, dass man im Betrieb Zeit damit verbringt, was in vielen Familien nicht mehr passiert. Es leben weniger Generationen unter einem Dach, die Zeit, die Eltern mit den Kindern reden wird immer weniger. Es gibt immer weniger Beziehungsarbeit. Unternehmen können das abfedern heute, indem sie Räume schaffen, wo diese Generationen sich begegnen. Wenn sie das nicht schaffen, fliegt ihnen alles um die Ohren.
Führungskräfte werden häufig extern rekrutiert. Da wird viel Zeit und Geld investiert. Beim eigenen Nachwuchs wird kaum geschaut, wer folgen kann…
Die kleinen und mittleren Unternehmen, die KMUs, haben aktuell eines der größten Probleme – und die beschäftigen rund 70 Prozent der Arbeitnehmer – nämlich die Nachfolgeregelung. Die ganzen Unternehmensberater, die auf Nachfolgeregelung spezialisiert sind, verdienen sich aktuell dumm und dämlich. Man stellt fest, von außen will keiner, dann schaut man intern und merkt, dass der große Patriarch oder Firmenchef gar nicht wirklich abgeben möchte – deswegen hat er auch niemanden aufgebaut. Und dann haben alle ein Problem.
Was sind Fähigkeiten, die es bei den Jungen braucht?
Den Jugendlichen fehlt heute zum einen Gelassenheit und Geduld und zum zweiten, die Fähigkeit tiefe Beziehungen einzugehen. Und das sind genau die Dinge, die es braucht, um auch beruflich erfolgreich zu sein. Dinge brauchen Zeit, um gut zu werden. Beziehungen zu Kollegen, Partnern und Kunden müssen aufgebaut und gepflegt werden.
Und auf Unternehmensseite?
Unternehmen müssen verstehen, dass sie mehr sind als ein Arbeitgeber. Es geht darum, einen jungen Menschen in einem seiner wichtigsten Lebensabschnitte zu begleiten. Es gibt Unternehmer, die machen für Lehrlinge und Mitarbeiter unter 30 Jahre Persönlichkeitsentwicklungskurse. Die jungen Leute merken: der Arbeitgeber will nicht einfach nur immer mehr Leistung von mir, sondern dass ich mich zu einem mündigen, selbstsicheren Erwachsenen entwickle. Sogar wenn das bedeutet, dass ich das Unternehmen dann verlasse. Das ist Wertschätzung. Diese Unternehmen kennen keinen Fachkräftemangel. Die wollen junge Leute und Lehrlinge, die wirklich unbedingt im Unternehmen arbeiten wollen. Die, die bleiben, übernehmen Verantwortung und sind potenzielle Führungskräfte.
Was hat dieses Thema mit Innovation in Unternehmen zu tun?
Die Frage, der wir uns stellen müssen, ist: wissen wir in unseren Organisationen eigentlich, was wir wirklich wissen? Wissen wir, was jeder Einzelne bei uns weiß? Kennen wir unser Potenzial, die Ideen, die in den Mitarbeitern schlummern? So lange wir diese Frage nicht beantwortet haben, brauchen wir nicht draußen nach Innovation schauen.
Gibt es da Vorbilder?
Der ÖAMTC hat vor zwei Jahren eine Innovationsplattform gestartet. Dahinter steht die Überzeugung, die besten Ideen kommen nicht von den Chefs, sondern von den Leuten, die tagtäglich mit den Kunden in Kontakt stehen. Auf dieser Plattform haben sich mittlerweile 80 Prozent der Mitarbeiter eingeloggt. Es wurden mehr als 1400 Ideen eingereicht und der ÖAMTC hat über 10 Prozent dieser Ideen umgesetzt. Und mit 34 Ideen hat einer der Außendienstmitarbeiter, ein 30-jähriger Mann, der draußen die Autos abschleppt, am meisten Ideen eingereicht. Das ist gelebte Kultur der Wertschätzung.