„Greta Thunberg? Wie lächerlich“
Deutschlands bekanntester Umweltchemiker Michael Braungart über den Weltuntergang, kompostierbare Sportschuhe und Robert Habecks Umhängetasche
Foto EPEA: Würde sich über den Chemienobelpreis freuen: Vordenker Michael Braungart
Er schwamm in der Nordsee, um Dünnsäurefrachter zu stoppen, kletterte auf Schornsteine, um auf Umweltsünden von Chemiekonzernen aufmerksam zu machen und gründete die Grünen mit: Michael Braungart begann als Greenpeace-Aktivist, heute arbeitet der 61-Jährige aus einem Büro in Hamburg heraus an nichts weniger als einer Revolution, die Umwelt und Menschheit retten sollen. Markus Lorenz sprach mit dem Vordenker und Überzeugungstäter.
Herr Braungart, wollen Sie die Welt retten? Ach nein, die Welt muss nicht gerettet werden.
Nanu? Man könnte den Eindruck haben, Sie tun alles dafür. . . ?
Die Leute machen die Katastrophe einfach nur größer, damit sie selber wichtiger erscheinen. Es geht weder ums Überleben des Planeten noch der Menschheit.
Gar keine Angst vor den Folgen von Klimawandel und Umweltzerstörung? Es stimmt schon, dass wir alles verlieren werden, was uns bei Tieren und Pflanzen besonders liebenswürdig erscheint. Koalabären, Gorillas, Zebras, Giraffen, Wale, Delfine – alles wird aussterben. Aber viele Säugetiere werden erhalten bleiben, ebenso die Kakerlaken etc. Wir verlieren aber durch Verteilungskämpfe das, was wir in 10 000 Jahren Zivilisation an Würde geschaffen haben. Schlimm genug.
Also: Müssen wir dringend handeln?
Ja. Oder besser: Wir wollen handeln. Der Kampf gegen Umweltzerstörung ist nämlich kein Moralthema. Donald Trump ist für mich mit seinem Ausstieg aus dem Klimaabkommen der viel ehrlichere Lügner. Wir verschaffen den Leuten zurzeit den Eindruck, als täten wir etwas. In Wahrheit stehen unsere Maßnahmen in keinem Verhältnis zu dem, was getan werden müsste.
Die Deutschen halten sich für vorbildliche Umweltschützer. Sie nicht? Wir denken, es reicht, wenn wir ein bisschen weniger zerstören: weniger Auto fahren, weniger Müll, weniger Wasserverbrauch. Damit schützen wir aber nichts, wir machen nur weniger kaputt. Es ist so, als wenn wir sagen: „Ich schlage mein Kind nur noch fünfmal statt zehnmal.“ Wenn eine Plastikverpackung statt acht nur 7,6 Gramm wiegt, denken wir, das sei ein Fortschritt. Wir machen das Falsche perfekt, anstatt zu fragen: Was ist das Richtige?
Was ist das Richtige? Alles neu zu denken, zuerst das Denken selbst, dann die Produkte. Die Natur kennt keinen Abfall. Alles geht in den Kreislauf zurück.
Ihr Gegenkonzept lautet „Cradle to Cradle“, also „Von der Wiege zur Wiege“. Was ist gemeint? Alle Dinge, die verschleißen – also Reifen, Schuhsohlen, Bremsbeläge – müssen so gemacht sein, dass sie in biologische Systeme zurückgeführt werden können. Alles, was nur genutzt wird, wie Waschmaschinen und Fernseher, muss in technische Systeme zurück.
Das funktioniert? Ja. Dem liegt zugrunde, die Menschen nicht als Belastung für die Natur zu verstehen, sondern als Chance. Mit Cradle to Cradle schaffen wir solche Produkte. Zum Beispiel eine Eiscremeverpackung, die nur im gefrorenen Zustand eine Verpackung ist. Bei Raumtemperatur schmilzt sie und ist binnen zwei Stunden komplett abgebaut. Da wird das Wegschmeißen zum lustvollen Vorgang.
So lässt sich doch längst nicht alles herstellen? Doch. Es gibt weltweit schon mehr als 11 000 Cradle-to-Cradle-Produkte nahezu aller Art: kompostierbare Sportschuhe, Schlafanzüge aus Biobaumwolle mit unschädlichen Farbaufdrucken, unschädliche Reinigungsmittel, Bierdosen, die rückstandslos eingeschmolzen werden, Teebeutel, die sich im Meer schnell zersetzen, Kosmetiktücher, deren Abbau ich einstellen kann. In der Schweiz gibt es ein Unternehmen, das essbare Möbelstoffe produziert. Die Zuschnitte gehen als Torfersatz in Gärtnereien.
Aber wer isst Möbelstoffe? Ich. Im japanischen TV habe ich das schon oft getan. Ich schneide den Stoff vor der Kamera in Stücke, tue sie in ein Müsli und verspeise das.
Sind Sie ein Revolutionär? Jedenfalls braucht es eine neue industrielle Revolution. Ich bin Chemiker und Verfahrenstechniker und weiß, dass dafür eine solide Wissenschaft nötig ist. Ich will die Dinge ändern. Dafür arbeite ich mit großer, langer Geduld. Ich habe 24 Jahre an einem kompostierbaren Leder gearbeitet und 22 Jahre, um ein kompostierbares Papier hinzukriegen. Es klappt. Meine Bücher drucke ich auf Papier, das man essen kann, so unschädlich ist es.
Wie sieht die Produktwelt von morgen aus? Moderne Produkte sind alle Dienstleistungen.
Das bedeutet? Niemand braucht eine Waschmaschine, wir brauchen saubere Wäsche. Heutige Waschmaschinen enthalten 150 billige, giftige Kunststoffe, die mehr Benzol abgeben als ein Kind an einer Tankstelle aufnehmen würde. Verleiht der Hersteller die Geräte aber für ein paar Jahre, hat er das größte Interesse daran, dass sie lange halten und wir das beste Material verwenden.
Das wäre ein anderes Wirtschaftssystem . . . ?
Mir geht es darum, die Marktwirtschaft ernst zu nehmen. Im Moment ist es so, dass die Konzerne die Gewinne privatisieren, die Kosten für Müllentsorgung, Umweltzerstörung und krankmachende Stoffe aber verallgemeinern.
Haben Wirtschaft und Verbraucher verstanden? Einige. Wir haben viel erreicht. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, wird 2050 alles Cradle to Cradle sein.
Wie sind Sie Umweltchemiker geworden? Ich hatte eine sehr innige Beziehung zu meiner Chemielehrerin (lacht). Ich habe dann Chemie studiert und mich geärgert, wie primitiv die praktizierte Chemie war.
Und haben begonnen, gegen die Chemieindustrie zu protestieren? Nach der Sandoz-Katastrophe 1986 habe ich die Greenpeace-Aktion gegen die Rheinverschmutzung geleitet. Der Werkschutz hat uns verprügelt, davon habe ich heute noch Rückenschmerzen. Wir sind in der Nordsee geschwommen, um die Dünnsäurefrachter aufzuhalten. Letztlich erfolgreich.
Wie wurde die Industrie für Sie vom Gegner zum Partner? Der Wendepunkt kam Weihnachten 1986. Wir sind auf den vereisten Schornstein von Ciba-Geigy in Basel gestiegen. Der Werksleiter sagte: „Das ist zu gefährlich. Kommen sie runter, ich garantiere ihnen, dass sie morgen wieder hoch dürfen.“ Wir sind natürlich oben geblieben, aber das Spiel hatte sich geändert. Als ich später in Hamburg meine Firma EPEA gegründet habe, sind die Ciba-Manager gekommen und wollten mit mir zusammenarbeiten. Ich war einverstanden, weil ich mit der Industrie rausfinden wollte, wie ein anderes Verhältnis von Menschen zur Natur aussehen kann. Daraus ist Cradle to Cradle entstanden. Finanziert von der Schweizerischen Chemie.
Warum in Hamburg? Weil die Stadt die besten Voraussetzungen dafür hat. Hier war es immer so, dass die Menschen aus eigenem Antrieb gehandelt habe und nicht nur das getan haben, was die Könige verlangt haben.
Sie müssen begeistert sein von Fridays for Future? Es ist gut, dass die jungen Leute etwas tun, aber das ist mir zu viel Panikmache. Wenn sich 1945 ein Kind auf den Rathausmarkt gestellt und geklagt hätte: „Was hinterlasst Ihr uns für eine Welt?“, dann hätte ich das verstanden. Aber heute . . .
Greta Thunberg ist die Heldin der Klimaschutzbewegung, was spricht dagegen? Sie kann nur Schwarz-Weiß sehen. Ich habe bei Greenpeace mein Leben eingesetzt, um Gift aufzuhalten. Ich habe Dreck eingeatmet ohne Ende, radioaktive Stäube. Und dann sitzt da jemand vor dem Parlament, geht nicht zur Schule, wird als große Widerstandskämpferin gefeiert und für den Nobelpreis vorgeschlagen. Wie lächerlich. Ich gebe zu, das provoziert mich.
Die Grünen sind dank Klimadebatte im Höhenflug und könnten das Rathaus erobern. Dann wäre der Gang durch die Institutionen der ehemaligen Umweltkämpfer auch in Hamburg vollendet. Wird Umweltpolitik dann besser?
Ach, die Grünen. Ich habe die Partei mal mit gegründet. Der Vater von Winfried Kretschmann war mein Grundschullehrer. Die Grünen sind eine wunderbare Wellness-Partei. Aber deren Politik hat mit der Realität nichts zu tun. 1994 habe ich für die Grünen PVC-Verbotsanträge geschrieben. Und heute treffe ich Robert Habeck mit einer Umhängetasche aus Lkw-Plane mit PVC in Berlin am Bahnhof. Es gibt viele Grüne, die sich bemühen, aber die haben schlicht keine Ahnung. Sie bleiben auf halber Strecke stehen und erreichen nichts.
Sie sind mit der ehemaligen Greenpeace-Chefin Monika Griefahn verheiratet. Wie müssen wir uns so eine Ehe vorstellen ? Alles nur öko? Nein. Mein Lebensmotto lautet: „Entschieden, aber nicht konsequent“ (lacht ). Fürs Essen gilt: Bei tierischen Fetten immer Bio kaufen. Dann hat man schon 70 Prozent der Belastung ausgeschlossen. Das gilt auch für Paprika und Rucola, da habe noch in jeder Probe Giftstoffe gefunden.
Quelle: Flensburger Tagblatt, 18.1.2020: http://zeitung.shz.de/flensburgertageblatt/2296/article/1069976/21/1/render/?token=fdd7d6d69abb8922c465672158b09155