Risikoberichte zeichnen düsteres Bild
Gleich drei dieser Tage erschienene Studien setzen sich mit den größten Herausforderungen und Gefahren der Zukunft auseinander – und davon gibt es genug. „Die politische Landschaft ist zerklüftet, die Meeresspiegel steigen, und klimabedingte Feuer brennen“, fasste es das Weltwirtschaftsforum (WEF) zusammen.
„Die Welt kann nicht darauf warten, dass sich der Nebel der geopolitischen und weltwirtschaftlichen Unsicherheit lüftet“, hielt WEF-Präsident Borge Brende in dem am Mittwoch vorgestellten Weltrisikobericht der Organisation fest. Das WEF erwartet „ein Jahr des wirtschaftlichen Rückgangs und zunehmender interstaatlicher wie internationaler Spannungen“ – dabei sei gerade Kooperation zur Bewältigung der Gefahren unabdingbar.
Erstmals in seiner Geschichte führt der Bericht fünf Risiken mit Klimabezug als die größten im kommenden Jahrzehnt an. Auf dem ersten Rang stehen – wie schon in den Vorjahren – extreme Wetterereignisse mit vielen Todesopfern sowie großen Schäden an der Infrastruktur. Danach folgen: Scheitern von Politik und Wirtschaft beim Klimaschutz; Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche und Erdbeben; menschengemachte Umweltschäden und -katastrophen wie Ölunfälle und nukleare Störfälle; schwerwiegender Verlust der Artenvielfalt mit unumkehrbaren Konsequenzen für das Ökosystem.
„Der Klimawandel trifft uns härter und schneller, als viele es erwartet haben“, schreiben die WEF-Experten in ihrem Bericht. Doch er ist nicht deren einzige Besorgnis: Durch globale Handelskonflikte, hohe Schulden und ein vergleichsweise schwaches Wirtschaftswachstum drohe ein „synchronisierter Abschwung“.
Unruhen mehren sich
Verschärft werde die Lage noch dadurch, dass Politik und Notenbanken zu wenig „Munition“ hätten, um eine potenzielle Rezession zu bekämpfen. „Inmitten der düster werdenden wirtschaftlichen Aussichten hat sich die Unzufriedenheit vieler Bürger verhärtet“, heißt es in dem Report – was sich in Protesten und zivilen Unruhen in mehr und mehr Ländern äußert.
Niederschmetternd nimmt sich auch die Studie „Climate Risk and Response“ der Unternehmensberatung McKinsey aus, über die der „Spiegel“ am Donnerstag berichtete. Geschehe nichts, heißt es darin, könne der Klimawandel „Hunderte Millionen Menschenleben, Billionen von Dollar an Wirtschaftskraft sowie das physische und das natürliche Kapital der Welt gefährden“.
Das McKinsey Global Institute hat die sozioökonomischen Folgen des Klimawandels für 105 Staaten in den kommenden 30 Jahren analysiert. Die Auswertungen basierten auf dem Szenario, dass die Emissionen weltweit weiter steigen, sagte McKinsey-Partner Hauke Engel, Koautor der Studie. Demnach würden bereits in zehn Jahren 250 bis 360 Millionen Menschen in Regionen leben, in denen tödliche Hitzewellen drohten. Bis 2050 könnte die Zahl auf 700 Millionen bis 1,2 Milliarden wachsen.
Hitze allerorts spürbar
Weltweit schränkten Hitze und Luftfeuchtigkeit die Arbeitsleistung und das, was sich unter freiem Himmel erledigen lasse, ein, heißt es in der Studie. Betroffen seien vor allem Länder wie Indien, Pakistan, Bangladesch und Nigeria. Doch die Konsequenzen der Erderhitzung seien auch anderswo spürbar: Das Risiko von Ernteausfällen steige weltweit, die Erwärmung der Ozeane könnte den Fischfang bis 2050 um acht Prozent verringern und die Lebensgrundlage von bis zu 800 Millionen Bürgern weltweit beeinträchtigen.
Auch der Tourismus und die Lebensmittelproduktion am Mittelmeer drohten zu leiden, wenn 2050 die klimatischen Bedingungen in Marseille denen von Algier heute ähnelten – wovon Prognosen ausgehen. Und: Ein Viertel der 100 meistfrequentierten Flughäfen liege weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel und könnte laut Studie „ernsthaften Gefahren“ durch Flut und Sturm ausgesetzt sein.
„In einem Viertel aller Länder kam es im vergangenen Jahr zu einem deutlichen Anstieg der Unruhen – ein Trend, der sich fortsetzen dürfte“: So wiederum eröffnet Verisk Maplecroft, ein führendes Unternehmen für Risikoanalysen und strategische Prognosen, seinen ebenfalls am Donnerstag veröffentlichten Bericht „Political Risk Outlook 2020“, wie der „Guardian“ schrieb. Auf allen Kontinenten seien dadurch Regierungen ins Wanken gekommen – so unterschiedliche Standorte wie Hongkong, Chile, Nigeria, Sudan, Haiti und Libanon seien betroffen.
Der Sudan, in dem der ab 1993 autoritär regierende Staatspräsident Omar al-Baschir im Frühjahr 2019 gestürzt wurde, überholte das Bürgerkriegsland Jemen und belegte im Index der zivilen Unruhen von Verisk Maplecroft den ersten Platz. Die Zahl der Länder, die als extrem risikoreich eingestuft werden, stieg um ein Drittel – von zwölf im Jahr 2019 auf 20 Anfang 2020. Hongkong und Chile wurden als die „riskantesten Orte“ der Welt in Bezug auf Härte und Häufigkeit der Proteste eingestuft.
„Neue Normalität“
Die Untersuchung basiert auf einer Reihe von Risikoindikatoren für Unternehmen, die etwa die Gefahr von Lieferstörungen, Schmälerung des Firmenvermögens und Risiken für Mitarbeiter durch gewaltsame Unruhen in Betracht ziehen. Viele Sektoren, von Bergbau über Energie, Tourismus, Einzelhandel bis hin zu Finanzdienstleistungen, hätten die Auswirkungen bereits im vergangenen Jahr zu spüren bekommen – die Schäden weltweit würden sich auf Milliarden von US-Dollar belaufen, heißt es in der Studie.
Das Resümee der Studien fällt ähnlich aus: Unruhen wie im Vorjahr werden zur „neuen Normalität“. Im WEF-Report heißt es: „Die geopolitischen Turbulenzen sind geprägt von der Unvorhersehbarkeit, wer die Führung übernimmt, wer Verbündete sind und wer am Ende zu den Gewinnern und Verlierern gehören wird.“ Verisk Maplecroft hält fest: „(…) Doch selbst wenn man sich sofort mit den Ursachen befasst, sind die meisten Missstände tief verwurzelt, und es würde Jahre brauchen, um sie zu beseitigen. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass 2019 eine Ausnahme sein wird.“
Quelle: https://orf.at/stories/3151191/