Foto: adam121/stock.adobe.com

So sieht das die Wirtschaftskammer Tirol:

Veränderungsfähigkeit: Die Chance der Krise

Die Corona-Krise rüttelt Führungskräfte wach. Entscheidend ist, wie darauf reagiert und unter neuen Vorzeichen agiert wird. Zurück zum Alten geht nicht. Mario Buchinger und Verena Ringler unterstützen den Weg ins Neue. Auf unterschiedliche Weise. Mit starker Lösungskompetenz. Und Biss.

Für Humor ist in der Corona-Krise so gar kein Platz. Nur Karl Valentin lässt den Versuch, die höchst unheimliche und herausfordernde Zeit ein wenig leichter zu betrachten, nicht zu krampfhaft erscheinen. „Die Zukunft war früher auch besser“, sagte der bayerische Kabarettist beispielsweise. Den Optimisten beschrieb er als Menschen, der die Dinge nicht so tragisch nimmt, wie sie sind. Und noch eines wusste er: „Wer am Ende ist, kann von vorn anfangen, denn das Ende ist der Anfang von der anderen Seite.“  Derart über- oder zugespitzt haften Valentins komischen Weisheiten durchaus ewige Wahrheiten an. Auch sein wunderbarer Zauderer-Spruch hat keine Halbwertszeit: „Mögen hätt‘ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“ Optimistisch in die Zukunft zu gehen und einen neuen Anfang zu wagen, setzt jedenfalls Mut voraus. Mut zu neuem Denken, zerbröselte das alte doch in Folge des Corona-Schocks teils massiv.

Das Versäumnis vor der Krise

„Die Corona-Krise zeigt uns, wie fragil unser Wirtschaftssystem ist, weil wir es eben versäumt haben, uns und unser System kontinuierlich zu hinterfragen. Wir sind zu wenig veränderungsfähig und können dadurch mit nicht-linearen Systemen schlecht bis gar nicht umgehen. Wir neigen dazu, erst dann aktiv zu werden, wenn wir Dinge unmittelbar spüren“, stellt Mario Buchinger fest. Buchinger ist dezidiert kein Unternehmensberater. Er ist Ökonomie-Physiker sowie Gründer von „Buchinger|Kuduz“ mit Sitz in Leutasch, das sich auf die langfristige Entwicklung von Unternehmen und Organisationen spezialisiert hat. Buchinger begleitet seine Kunden als „externer Kollege“ auf dem Weg zu einer kontinuierlichen Verbesserungskultur. Veränderungen sind sein Thema. Und das nicht erst, seit in der Bugwelle der Corona-Krise die Veränderungsfähigkeit zum Rettungsring für Unternehmen wurde – zum Rettungsring und zum potenziellen Turbo.

Veränderungen stehen auch im Mittelpunkt seines jüngsten Buches mit dem Titel „Das Wasserfall-Paradoxon“. Es ist im Mai 2020 erschienen. Mitten in der Corona-Krise. Zufall? „Ja, das ist Zufall. Das Buch ist entstanden, weil viele unserer Kunden gefragt haben, ob ich die Gedanken zur Veränderungsfähigkeit irgendwo aufschreiben könnte, damit nicht alles nur in meinem Kopf herumschwirrt“, so Mario Buchinger, der bei der Wahl des Buchtitels seiner Profession als Ökonomie-Physiker alle Ehre macht und punktgenau in der aktuellen Lage landet: „Unvorhergesehene Dinge passieren und wir lernen auf dem Weg zum Ziel hinzu. So verlaufen auch die Wasserfälle in der freien Natur, sie passen sich wechselnden Bedingungen an und nahmen sich ihren Weg. Aus dem Widerspruch der Managementtheorie und der Natur von Wasserfällen ist die Idee zum ‚Wasserfall-Paradoxon‘ entstanden. Denn wir alle agieren in Organisationen, die vielfältig und einzigartig sind, warum sollten wir uns verbiegen, um in Modelle und Theorie zu passen?“

Der Lackmustest

Die wahre Kraft der Einzigartigkeit wird durch die Corona-Krise schonungslos auf die Probe gestellt. „Ich erkenne zwei rote Fäden“, so Buchinger, „Die einen wollen das Jahr mit einer guten Kennzahlenlandschaft abschließen und damit ihr Ego und ihre monetären Anreize retten. Die anderen wollen möglichst viel lernen und nutzen die Zeit für kundenorientierte und nachhaltige Veränderung. Die letztgenannten werden langfristig erfolgreich sein, die erstgenannten nicht.“
Das Fazit klingt trocken und unterstreicht, wie wichtig Veränderungsfähigkeit immer, also nicht nur während einer akuten Krise, ist. Entscheidend ist die Fähigkeit, sich und sein Tun ständig auf den Prüfstand zu stellen. „Dies tut man am besten, indem man sich in die Lage seiner Zielgruppe versetzt. Dabei ist es egal, ob dies Kunden für ein Unternehmen oder die Bürger für die Politik sind“, unterstreicht Buchinger diese schwierige aber entscheidende Ebene der Empathie, die durch die Ignoranz von Entwicklungen und dem Beharren auf bekannten Systemen verhindert werden kann. „Der wohl größte Fehler, wenn es um Veränderungsfähigkeit geht, dürfte aber Selbstherrlichkeit sein“, erklärt Buchinger und hält fest: „Um veränderungsfähig zu sein, muss man den eigenen Erfolg, egal wie großartig dieser auch sein mag, immer wieder bewusst vergessen.“

Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich jene Unternehmen, die Veränderungsarbeit in ihrer Organisation implementiert haben, besser mit den Auswirkungen der Krise umgehen können. „Kaizen“ nennt sich die so spannende wie lebendige Lebens- und Arbeitsphilosophie, die sich der ständigen Verbesserung und damit der Veränderungsfähigkeit verschrieben hat und die Teil von Buchingers Portfolio ist. Genau genommen kann mit Kaizen das Urfeuer des Unternehmertums beschrieben werden. Ein Feuer, das gerade in Krisenzeiten lodern will.

Kreativer Aktionismus: Interview mit Mario Buchinger

Im Interview mit der Tiroler Wirtschaft erklärt Mario Buchinger nicht nur seine Profession, sondern auch, warum die Krise zeigen kann, welche Fehler vorher gemacht wurden.

wirtschaft.tirol: Sie sind Ökonomie-Physiker. Die Berufsbezeichnung respektive das Forschungsfeld weckt bei Laien erst einmal die Frage, was Ökonomie mit Physik zu tun hat. Was denn?
Buchinger: Genau genommen, habe ich Physik studiert und darin auch promoviert. Ich bin aber seit über 15 Jahren als Angestellter, Führungskraft und seit 2014 als Selbstständiger in der Wirtschaft tätig. Dabei schaue ich auf das Wirtschaftsumfeld mit den Augen eines Naturwissenschaftlers, der viele Denkmuster anders umsetzt als es die Wirtschaftswissenschaften tun. Die Physik versucht immer, die Natur als ein Ganzes mit all ihren Wirkzusammenhängen und Wechselwirkungen zu verstehen. Der Mensch, damit die Gesellschaft und auch die Wirtschaft sind nichts anderes als ein Teil eines Gesamtsystems, dass wir als „Natur“ bezeichnen.

Worin liegt der Unterschied zu anderen Disziplinen?
Der wichtigste Unterschied zu anderen Disziplinen ist, dass Modelle und Experimente mit Messgrößen und Kennzahlen einem Physiker immer nur als Abstraktionshilfe dienen, um das weitaus komplexere Gesamtsystem zu verstehen. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass ein Modell oder ein Experiment in der Lage ist, alles zu erklären. Die Wirtschaftslehren gehen aber oft davon aus, dass ein Modell die Realität eindeutig beschreibt.

Eine Reaktion auf das Überleben der ersten Krisenmonate, ist der Drang zurück, zurück zum „Alten“. Wie kann oder sollte ein Unternehmer die Krise als Chance zur Veränderung oder Verbesserung nutzen?
Die Kunst besteht darin, Krisenstimmung in kreativen Aktionismus umzuwandeln. Diese Krise zeigt uns sehr deutlich, wo wir schon vorher vieles falsch gemacht haben. Wer diese Fehler spätestens jetzt erkennt, wird auch nach der Krise wieder gut durchstarten. Wer zurück zum Alten gehen will, der wird von der Bildfläche verschwinden. In der Tat mögen Menschen das Bekannte; Neues und Unbekanntes bereitet den meisten Sorge und Angst. Wer aber Verantwortung für ein Unternehmen trägt, muss mit dieser Sorge umgehen können. So etwas nennt sich unternehmerisches Risiko und das kann einem auch niemand abnehmen. Die Schlüssel zu dieser Fähigkeit sind Kreativität, um Neues zu entwickeln, und konstruktive Fehlerkultur, um aus Fehlern zu lernen. Es wäre naiv anzunehmen, dass jede Idee super läuft. Wer aber diese Fehlschläge nicht nutzt, wird sich auch nicht weiterentwickeln.

»Weitere Informationen: Buchinger|Kuduz

Anpassen ans Neue

In diesem Sinne hat sich die renommierte Krisen-, Kommunikations- und Strategieexpertin Verena Ringler auf das „Zündeln“ spezialisiert. Mit einem so neuen wie ungewöhnlichen Beratungsformat reagierte Ringler, die über viele Jahre in komplexen und krisenhaften Welten Erfahrungen gesammelt und 2005 die in Innsbruck ansässige Beratungsfirma European Commons gegründet hat, umgehend auf die Herausforderungen, mit denen sich Führungsteams in großen wie kleinen Unternehmen im Zuge der Corona-Krise konfrontiert sehen. Situation Room heißt das Format, das sich unter anderem dadurch auszeichnet, den Führungsteams nach nur zwei Tagen Lösungsansätze, Ideen und Anregungen mit auf den Weg zu geben. Den neuen Weg.

„In nur zwei Gesprächen haben wir den Ausstieg aus dem Panik-Kreislauf geschafft“, hat eine Teilnehmerin über den Situation Room geurteilt. Ja, der Panik-Kreislauf. Kaum eine Führungskraft blieb von ihm verschont. „Einen externen Schock wie COVID-19 will so manches Führungsteam erstmal ignorieren und so tun, als müsste alles gleich weitergehen, nur halt hastiger und hektischer als vorher, per Videocalls und Home Office, samt Kurzarbeit und Härtefallfonds. Reicht aber nicht. Denn nicht der Ausnahmezustand passt sich dem Geschäftsmodell an; das Geschäftsmodell muss sich der neuen Zeit anpassen“, weiß Verena Ringler.

Klartext sprechen

Mit dem Drang zurück zum Alten sind auch Ringler und ihre Teams im Situation Room konfrontiert. Klartext wird in diesem virtuellen Raum gesprochen. „Das gelingt gut, weil die Teams zu uns kommen, reingehen in diesen virtuellen Raum, eine Atmosphäre des Vertrauens akzeptieren und selbst leben. Danach sieht und hört man sich vielleicht nie wieder. Es ist wie in einer MRT-Röhre, da will ich auch durchleuchtet werden und kann nichts verstecken“, erklärt Ringler das Setting, das aufgrund der virtuellen Corona-Erfahrungen mit Video-konferenzen wohl kein unbekanntes mehr ist. Den Teams werden dort von drei Gastgebern aus drei fachlichen Welten etwa die Fragen gestellt: Was tun, wenn Gegenwind bläst? Eine Mauer bauen? Oder ein Windrad aufstellen? „Sie merken rasch selbst, ob sie von einem Umfeld träumen, das so nie mehr zurückkommen wird, oder ob sie ihre Sitzungen und ihre Tage mental bereits in einem ‚Stunde null‘-Szenario starten, wo sie alle bisherigen Annahmen auf den Kopf stellen“, so Ringler.

Die Antworten der Führungskräfte aus dem ersten Treffen im Situation Room, sind gleichsam das Arbeitsmaterial des multidisziplinär zusammengesetzten Gastgebertrios, für das Ringler ihr breit gefächertes Netzwerk zur Verfügung steht. „Wir schauen nüchtern hin zur Realität jetzt und geben klare Führung im Prozess. Es gibt da nichts schönzureden oder zu verdrängen. Das, was von den Kunden kommt, nehmen wir an und arbeiten damit. Wir erkunden die Ressourcen, Stärken, Chancen im Kundenteam. Wir holen wichtige Ziele und Anliegen, den Zweck und die Werte herein“, erklärt Ringler den Ablauf, in dem ihre persönliche Fähigkeit, Chancen und Möglichkeiten nicht nur zu sehen, sondern sehr schnell und konkret in die Zukunft weiterzuentwickeln, eine wichtige Säule ist. „Krise schützt vor Zukunft nicht“, ist die eine Binsenweisheit, die Ringler dazu animierte, den Situation Room als multidisziplinäres, rasches „drive through“ Strategieformat für Führungsteams  anzubieten. Die zweite lautet: „Führung verpflichtet.“ Stimmt.

Radikales Chancen-Management: Interview mit Verena Ringler

Im Interview mit der Tiroler Wirtschaft erklärt Strategieexpertin Verena Ringler, wie kleine Unternehmen vom Situation Room profitieren und wie die Methode funktioniert.

wirtschaft.tirol: Welche Führungsteams werden mit dem Situation Room angesprochen – gilt das Angebot für KMU genauso wie für „Große“?
Ringler: Ich habe den Situation Room am Tag eins des Lockdowns gestartet, weil es mir ein riesiges Anliegen ist, strategischen Weitblick und multidisziplinäres Fachwissen in 150 oder 200 Minuten vielen Führungsteams einfach und leistbar zugänglich zu machen. Die Großen arbeiten oft ohnehin mit externen Beratern, die Kleinen profitieren vom Situation Room ungleich mehr. Die sind einfach baff erstaunt. So mancher kleine Betrieb befasst sich im Situation Room zum ersten Mal mit strategischen Fragen und Fachwissen, die über bisherige Grenzen – ob geografisch oder im Kopf – weit hinausgehen.

Wie wählen Sie die Gastgeber aus? Welches Netzwerk steht Ihnen dabei zur Verfügung?
Ich höre ein Stichwort, zum Beispiel „Tiroler Hidden Champion in der metallverarbeitenden Industrie.“ Eine Stunde oder einen Tag später bevölkert sich eine imaginäre Theaterbühne in meinem Kopf mit Namen aus nah und fern, die mit ihrem Wissen oder ihrer Haltung zu diesem Kunden gut passen könnten. Ich greife heute auf ein 360-Grad-Netzwerk in der regionalen und internationalen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu. Das verdanke ich vielen Jahren der aktiven Kontaktpflege, international wie zuhause, von der Münchener Sicherheitskonferenz bis zum Management Center Innsbruck und vom Europäischen Rat in Brüssel bis zum Europäischen Forum Alpbach.

Wie schaffen Sie es, die entscheidenden Knackpunkte zu identifizieren und die Kunden entsprechend zu beraten?
Im Situation Room treffen wir Führungsteams im virtuellen Room an zwei Tagen. Am ersten Tag stellen wir Gastgeber behutsam Fragen. Ähnlich einem gemischten Ärzteteam hören wir in erster Linie zu, um uns danach dann intensiv zu beraten. Am zweiten Tag treffen wir uns für eine kürzere Session nochmal, da spiegeln wir dem Team die Stärken und vielleicht versteckten Potenziale. Wir reisen gedanklich ins Jahr 2025, wir schauen zurück und ich erzähle in einer Impulsrede, was dieses Team im Rückblick zwischen 2020 und 2025 so erfolgreich gemacht hat. Diese Rede hinterlässt meistens völlig überraschende Ideen und zumindest zwei, drei Anregungen, an die sich die Personen im Kundenteam im Alltag später erinnern. Wir betreiben in dieser zweiten, „Vorwärts-Session“ etwas, das in der strategischen Welt eher noch eine Nische ist: radikales Chancen-Management.

https://www.wirtschaft.tirol/die-chance-der-krise/

Gepostet am 10. August 2020