Bericht des Club of Rome:

Dürfen wir weiter wachsen?

Vor 50 Jahren wies der Club of Rome der Wirtschaft einen neuen Weg. Sie kann ihn immer noch nehmen

Man kann Die Grenzen des Wachstums heute auf zwei Arten lesen. Als Ausdruck menschlicher Weisheit und als Erinnerung an unsere Dummheit. Der ursprüngliche Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit wurde vor 50 Jahren präsentiert, seine Autoren waren erstaunlich weit und weise. Was die Welt mit den Erkenntnissen anfing, war es nicht. Mithilfe damaliger Großcomputer, deren Leistung heute ein kleiner Laptop aufbringt, berechneten die Wissenschaftler, wann und wo die Welt und ihre Wirtschaft an die planetaren Grenzen stoßen würden – wenn sie so weitermachten wie zuvor. Wenn also die Industrialisierung sich dauerhaft so schnell ausdehnen würde wie damals, die Bevölkerung so wüchse, der Abbau der Rohstoffe und der Raubbau an Natur und Umwelt.

Das Ergebnis von eineinhalb Jahren Forschung war alarmierend und beruhigend zugleich. Denn das neuartige „Weltmodell“, in dem sich Geburten, Konjunktur und Umweltausbeutung gegenseitig wie in einer Kettenreaktion beschleunigten, sagte erstens: Innerhalb der nächsten hundert Jahre zerstört sich die Weltwirtschaft selbst, aus Wachstum wird unweigerlich eine harte Schrumpfung, wenn wir uns nicht gewaltig verändern. Aber zweitens sagte es auch: Dieses Schicksal lässt sich gut abwenden, wenn die Menschheit reagiert. Oder in den Originalworten der amerikanischen Umweltforscherin Donella Meadows, des Ökonomen Dennis Meadows und ihrer 15 Mitstreiter am Massachusetts Institute of Technology:

„Es erscheint möglich, die Wachstumstendenzen zu ändern und einen ökologischen und wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand herbeizuführen, der auch in weiterer Zukunft aufrechterhalten werden kann. Er könnte so erreicht werden, dass die materiellen Lebensgrundlagen für jeden Menschen auf der Erde sichergestellt sind und noch immer Spielraum bleibt, individuelle menschliche Fähigkeiten zu nutzen und persönliche Ziele zu erreichen.“

Enge Sicht kann verheerend werden

Dennis Meadows, der seit einem halben Jahrhundert für die gewonnene Einsicht kämpft, war sich immer bewusst: Man kann den menschlichen Drang nach Neuem und nach Mehr nicht einfach abstellen. Nur das Wachstum zu stoppen ist für die meisten keine erstrebenswerte Vision. Der Anfang des nicht mal 200 Seiten schmalen Bandes handelt daher auch von den Menschen und ihrer Art, mit Problemen umzugehen. Unsere erste Sorge gelte dem, was heute um uns herum droht, und nicht etwa langfristigen, globalen Fragen, heißt es. So verständlich das sei, so verheerend könne die enge Sicht der Dinge werden, wenn all unsere Bemühungen im Kleinen durch Trends im Großen zunichtegemacht würden. Der Bericht ist vor allem anderen eine Aufforderung an die Menschen, den Blick zu heben und zu weiten – um unter modernen Bedingungen zu überleben und einzusehen, dass wir ein anderes und langsameres Wachstum bräuchten.

Als besonders wahrhaftig bleibt das Ende des Reports im Gedächtnis, das Nachwort des Club of Rome, jener 1968 von dem italienischen Unternehmer Aurelio Peccei und dem britischen Energieexperten Alexander King ins Leben gerufenen Expertenvereinigung, die den Bericht in Auftrag gab. Die führenden Leute des Clubs weisen darauf hin, „dass der Mensch sich selbst, seine Ziele und Wertvorstellungen ebenso erforschen muss wie die Welt, die er zu verändern sucht. Beides erfordert nicht endende Hingabe und Anstrengungen.“

Immer neue Krisen lenken ab

Genau jene Aufmerksamkeit also, die der Einzelne wie auch die Politik so schwer dauerhaft aufbringen können. Nimmt man Anfang und Ende des Reports zusammen, ist dort alles schon angelegt, die Erfahrung des nächsten halben Jahrhunderts. Der Mensch untersucht die Lage, er sieht ein, dass etwas zu tun ist – und wird dann wieder abgelenkt von der nächsten Herausforderung, egal ob Ölpreis- oder Finanzkrise, Flüchtlingsstrom oder Pandemie. Und jetzt natürlich vom Krieg.

Das ist es, was den Bericht heute so wertvoll macht – und nicht etwa die einzelnen Szenarios, die nie als Vorhersagen gedacht waren. Schließlich sollte deren Berechnung ja als Warnung dienen und gerade verhindern, dass sie eintreten. In vielen Bereichen hat die Welt sich gewandelt. So hat allen voran China mit seiner Bevölkerungspolitik dafür gesorgt, dass es nicht so viele Menschen gibt wie vorhergesagt. Moderne Industrien schaffen es nun auch vermehrt, mehr Produkte mit weniger Rohstoffen herzustellen, sodass die Ressourcenschätze der Erde nicht so schnell schwinden. Und durch Technologie und Planung konnte die Nahrungsmittelproduktion mehr als mithalten, als die Zahl der Menschen auf der Erde sich in 50 Jahren verdoppelte. Zudem haben Unternehmen und Staaten etwa bei Öl und Gas viel mehr Vorräte gefunden, als damals bekannt waren, und mit Techniken wie dem Fracking der Erde zu entreißen gelernt.

Bloß bei dem, worüber sie ständig redet und verhandelt, hat die Welt das Szenario von einst kaum korrigiert: beim Klimaschutz. Bis zur Jahrtausendwende hat sich der CO₂-Gehalt in der Atmosphäre fast genauso beschleunigt, wie Meadows und Co. das schrieben. Auch danach stieß die Welt noch immer mehr Klimagas aus und verdoppelte den jährlichen Ausstoß, und erst in der entschleunigenden Corona-Pandemie nahm er vorübergehend ab. Man kann es auch so sagen: In keinem Bereich ist die globale Wirtschaft den Grenzen des Wachstums schneller entgegengeeilt als beim Umweltschutz.

Natur ausgebeutet, als sei sie ein Geschenk

Mit einer Million Mark hat die deutsche VolkswagenStiftung den Report damals finanziert, und man darf behaupten: Das Geld hätte man schlechter anlegen können. Rund 30 Millionen Mal wurden Die Grenzen verkauft, in 30 Sprachen übersetzt, im Grunde kann seither niemand mehr sagen, er habe nichts gewusst vom Kollisionskurs der Menschheit. Die MIT-Forscher stellten die eine Frage, die aktueller ist denn je: Machen wir das Wachstum kaputt, wenn wir weiterwachsen wie bisher? Und die nachdrückliche Antwort war damals und ist heute: Ja, tun wir.

Das Weltproblem ist entstanden, weil die Völker und allen voran die im Westen die Natur als Geschenk ausgebeutet haben. Das begrenzte, das knappe Gut der Natur bekam einfach keinen Preis, man konnte es folgenlos mit Klimagasen oder Artenvernichtung beschädigen und auf diese Weise den Planeten seinen Grenzen entgegentreiben. Statt diesen Fehler zu beheben, wurde lange Zeit ein Konflikt zwischen Umwelt und Wirtschaft konstruiert. Tatsächlich aber ging es immer um die richtige Ökonomie, darum nämlich, dem Preislosen einen Preis zu geben.

Hin und her um die Ökosteuer

Die Erkenntnis verbreitete sich durchaus in den Jahrzehnten nach dem Aufschlag des Club of Rome. In Rio traf sich die Welt schon 1992 zur UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, in Kyoto bekannte sie sich 1997 zum Klimaschutz, und gerade die Deutschen zogen Konsequenzen, erforschten und entwickelten Antworten bis hin zum Konzept einer Ökosteuer, deren Einnahmen die Rentenversicherung entlasten würden. 1999 setzte Rot-Grün sie um – und stoppte sie schon zwei Jahre später wieder, aus Angst vor dem Zorn der Wähler. Was Deutschland nur in Ansätzen schaffte, versuchte der große Rest der Welt lange Zeit gar nicht erst, reagierte höchstens in Trippelschritten, tröstete sich mit einzelnen Fortschritten und der Hoffnung auf Technologien wie die Energieerzeugung durch kalte Fusion oder das Auffangen von CO₂ aus der Luft.

Es bewahrheitete sich, was am Anfang des Berichts über die Aufmerksamkeit der Menschen steht: Mal galt sie der Umwelt, dann wieder nicht. Geht es so weiter, müssen wir irgendwann ganz „Nein“ sagen zum Wachstum, dann treten tatsächlich die Grenzen des Wachstums mit unmittelbarer Wucht in Kraft. Deshalb, daran erinnert der Geburtstag, sollten wir heute umso schneller „Nein“ sagen zu fossilem Wachstum und uns auf ein Abenteuer einlassen – nämlich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sukzessive und erwartbar zu verändern und unsere Gesellschaft vom Schulunterricht bis zum Aufbau lokaler Gemeinschaften zu transformieren.

Wohlstand jenseits des Bruttoinlandsprodukts

Dann erst – das ist das Abenteuer – werden wir sehen, wie stark wir in der neuen grünen Welt wachsen. Falls die Menschen lernen, einen Globus im Gleichgewicht und die eigene Naturerfahrung wertzuschätzen, falls sie mehr aufs Erleben als aufs Besitzen setzen und stolz sind, wenn alles wieder verwendet wird, dann ändert sich die Idee von Wohlstand, und es entsteht Raum für neues Wachstum. Deshalb arbeiten so viele Experten bis hin zum deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck an alternativen Maßen für den Wohlstand jenseits des klassischen Bruttoinlandsprodukts. Doch es nützt wenig, ein solches Alternativmaß von oben vorzugeben, die Menschen müssen es verinnerlichen und als Konsumenten und Konsumentinnen täglich leben.

Das ist, neben Energiewende und CO₂-Steuer, neben dem Aufbau neuer Strom- und Verkehrsnetze, neben Innovationen für klimagerechtes Wirtschaften, die wichtigste Entwicklung. Greifen dagegen der Zorn über steigende CO₂-Preise und der Verteilungskampf um alten Besitz um sich und klammern wir uns weiter an das alte Verständnis von Wohlstand und an die Idee, dass jeder und jede ein möglichst großes Auto sein Eigen nennen sollte, E-Auto oder nicht E-Auto, dann krachen wir tatsächlich an die Grenzen des Wachstums. Das also ist das Abenteuer, das schon früher hätte beginnen sollen: die Frage, ob der Wertewandel so gelingt, dass aus Verlustangst ein Gewinngefühl wird.

Klimaschutz als Stärke begreifen

Die Herausforderung bleibt auch jetzt bestehen, da Putins Krieg und seine Auseinandersetzung mit dem verhassten Westen oberste Priorität haben. Der Blick 50 Jahre zurück zeigt, dass die neuen Gefahren auf Dauer nicht als Anlass für erneute Umweltignoranz herhalten dürfen. Sonst wäre es die Fortsetzung der alten Dummheit unter veränderten Bedingungen. Wenn diese Wochen eines unter Beweis stellen, dann dass Deutschland eine resiliente Gesellschaft braucht und keine, die donnernd auf die Grenzen des Wachstums zurast. Eine Wirtschaft, die sich ihre Energie mit Wind und Sonne selbst macht und von Russland und anderen Lieferländern unabhängig wird. Ein auch ökonomisch wehrhaftes Gemeinwesen eben.

Womit wir am Ende des Berichts angelangt sind, beim Menschen selbst, seinen Zielvorstellungen und Werten. Und was ist Wohlstand, wenn nicht die Summe unserer Werthaltungen.

Beim Forschen darüber, so wie es die Initiatoren vor einem halben Jahrhundert vorschlugen, merkt man schnell: Klima- und Naturschutz sind keine Schwäche, sie sind eine Stärke, weil sie uns vom Zusammenprall mit den Grenzen des Wachstums abhalten.

Uwe Jean Heuser, ZEIT ONLINE, 6. März 2022

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