„JETZT ODER NIE!“

Klimabericht fordert radikale Einsparungen

Die Aussagen des Anfang April 2022 veröffentlichten Welt-Klimaberichts sind deutlich: Ohne radikale und sofortige Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgase ist ein Eindämmen der globalen Erderhitzung auf maximal 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter nicht zu erreichen. „Es heißt jetzt oder nie“, sagte der Ko-Vorsitzende des Berichts des Weltklimarats (IPCC), Jim Skea. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beobachten aber auch positive Entwicklungen.

In den von den Fachleuten bewerteten Szenarien muss die globale Emission von Treibhausgasen bis spätestens 2025 ihren Höhepunkt erreichen. Ansonsten sei die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad nicht umsetzbar. Zudem sei es erforderlich, dass der Ausstoß der Treibhausgase bis 2030 um 43 Prozent gesenkt werde. Gleichzeitig müsse auch der Methanausstoß um etwa ein Drittel reduziert werden, heißt es in dem nun veröffentlichten dritten Teil des IPCC-Berichts.

„Ohne sofortige und tiefgreifende Reduktion der Emissionen über alle Bereiche hinweg wird es unmöglich sein“, so Skea. Der Bericht zeige auf, dass die Finanzströme mit dem Faktor drei bis sechs deutlich unter dem benötigten Niveau liegen, die Erwärmung auch nur unter zwei Grad zu begrenzen. Die gute Nachricht sei aber, dass es ausreichend Kapital und Liquidität gebe, um diese Investitionslücke zu schließen. Dazu bedürfe es aber eines klaren Signals der Regierungen und der Weltgemeinschaft.

Guterres: „Dokument der Schande“

Hart fiel das Urteil von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres aus: „Es ist ein Dokument der Schande, ein Katalog der leeren Versprechen, die die Weichen klar in Richtung einer unbewohnbaren Erde stellen“, sagte er in einer Videobotschaft zum neuen Bericht. „Sie ersticken unseren Planeten“, sagte Guterres über Regierungen und Firmen, die für hohe Treibhausgasemissionen verantwortlich sind.

Die wahren gefährlichen Radikalen seien nicht Klimaaktivisten, sondern jene Länder, die die Produktion von fossilen Brennstoffen ausbauen. Solch eine Strategie sei „moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn“, so der UNO-Generalsekretär.

Treibhausgasemissionen so hoch wie noch nie

Die weltweite Temperatur werde sich stabilisieren, wenn das Gleichgewicht zwischen dem Ausstoß von schädlichem Kohlenstoff und der Wiederaufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre hergestellt werde, heißt es in dem Bericht. Für eine maximale Erderwärmung auf 1,5 Grad bedeutet das, dass weltweit in den frühen 2050er-Jahren Netto-null-Emissionen herrschen müssen, für zwei Grad müsste das in den frühen 2070er-Jahren der Fall sein.

Die jährlichen Treibhausgasemissionen waren zwischen 2010 und 2019 jedoch so hoch wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. „Aber die Wachstumsrate hat sich verlangsamt“, heißt es in dem Text. Das hat politische wie wirtschaftliche Gründe: Seit 2010 seien die Kosten für Solar- und Windenergie sowie für Batterien um bis zu 85 Prozent gesunken. Neu eingeführte Gesetze und Regulierungen hätten zur Verbesserung der Energieeffizienz geführt, den Einsatz von erneuerbaren Energien beschleunigt und die Abholzung von Wäldern verringert.

Entscheidungen könnten „lebenswerte Zukunft sichern“

„Wir stehen an einem Scheideweg. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern“, sagte IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee. Die Welt verfüge über ausreichend Instrumente und Wissen, um die Erderhitzung entsprechend des Pariser Klimaabkommens zu begrenzen. Viele Vorschriften, Regulierungen und Instrumente auf dem freien Markt hätten sich in der Vergangenheit als wirksam erwiesen. Wenn diese in noch größerem Umfang angewandt werden würden, könnten Emissionen deutlich gesenkt und Innovationen weiter gefördert werden.

Gewessler: Ausstieg aus Öl und Gas „Gebot der Stunde“

„Mit dem raschen Ausstieg aus Öl und Gas machen wir uns unabhängig von russischen Machtspielen und betreiben konsequenten Klimaschutz. Das ist jetzt das Gebot der Stunde“, reagierte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) auf den Klimabericht. Gewessler zeigte sich aber überzeugt, mit „ambitioniertem Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen“ die Klimakrise und ihre Auswirkungen wirksam eindämmen zu können.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace Österreich forderte ebenfalls, „das fossile Zeitalter so rasch wie möglich zu beenden“. Auch die Umweltschutzorganisation WWF Österreich forderte ein umfangreiches Reformpaket für den Ausstieg aus Öl und Gas. Global 2000 vermisste „schmerzlich ein Energiewendepaket der Bundesregierung, das uns von Öl und Gas befreit“.

Thunberg warnt vor falschem Optimismus

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg warnte nach der Veröffentlichung vor falschem Optimismus: „Wenn ihr den neuen IPCC-Bericht lest, behaltet im Hinterkopf, dass die Wissenschaft vorsichtig ist und dass das hier in den Verhandlungen von Ländern verwässert worden ist“, schrieb die 19-Jährige am Montag auf Twitter.

„Wir wissen, welchen Weg wir gehen müssen. Wir können nicht länger warten, um die harten Entscheidungen zu treffen, die notwendig sind, um die Zukunft der menschlichen Zivilisation zu schützen“, sagte der Klimaschützer und frühere US-Vizepräsident Al Gore.

Bericht mit Verzögerung präsentiert

Hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben für den Bericht in den vergangenen Jahren Zehntausende Studien ausgewertet. Er ist Teil des sechsten IPCC-Sachstandsberichts über die Klimaforschung. Die finale Abstimmung des Berichts zwischen Wissenschaft und Vertretern internationalen Regierungen zog sich über das Wochenende deutlich in die Länge. Die Veröffentlichung – ursprünglich für Montagvormittag geplant – wurde kurzfristig verschoben.

Der erste Teil über die wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels kam im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass der Wert von 1,5 Grad schon in den nächsten 20 Jahren erreicht oder überschritten werden dürfte. Der Ende Februar veröffentlichte zweite Teil drehte sich um die drastischen Folgen des menschengemachten Klimawandels und Anpassungen, um Gefahr für Leib und Leben so weit wie noch möglich abzuwenden.

ORF.at/4.4.2022/Agenturen

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