Pioniere der Peripherie:
Wie sich ein ganzer Ort mit den Erbauern eines neuen Hotels mitfreut
Von Stefan Hackl
In den vergangenen Monaten haben meine Frau und ich die Route unserer Spaziergänge geändert. Das klingt nach keiner großen Tat. Aber wir leben in Lunz am See. Und in Lunz am See führt jeder Spaziergang und Lauf, jeder Nordic Walk und Radausflug zum – Lunzer See. Das liegt auf der Hand, man könnte sich kein lohnenswerteres Ziel ausmalen.
Aber zuletzt sagten wir immer öfter: „Gemma die Refugium-Baustelle anschauen“. Denn seit bekannt geworden ist, dass Joachim Mayr und Heinz Glatzl das Jarosch-Haus am Kirchenplatz zu einem Hotel umbauen, fieberte der ganze Ort mit diesem monumentalen Projekt mit. Jede Bewegung auf der Baustelle wurde verfolgt, jede Bauetappe bestaunt. 500 Lunzerinnen und Lunzer, also fast jeder dritte Bewohner des Orts machte sich beim „Tag der offenen Tür“ Anfang März selbst ein Bild von den Umbauarbeiten.
Seit den Osterferien ist das „Refugium Lunz“ eröffnet. Und flugs waren berührende persönliche Berichte auf Social Media zu finden. Ein gewisser Stolz der Lunzerinnen und Lunzer ist zu bemerken, eine echte Mitfreude mit den mutigen Machern zu spüren. Doch warum ist das so? Warum versetzt gerade dieses Hotel eine Ortschaft in solch positive Schwingungen und was können wir daraus für die Orts- und Regionalentwicklung lernen?
Reden wir übers Refugium, das sich vom 300 Jahre alten Gebäude, das keiner mehr sah, zum Designhotel, von dem man seinen Blick gar nicht abwenden kann, verwandelt hat. Drei Aspekte sind bemerkenswert:
Einbildungs- und Schaffenskraft
Joachim Mayr ist nicht Everybody’s Darling in Lunz. Er sagt über sich selbst, dass er oftmals zu viel und zu gerne redet. Aber jedes Aufeinandertreffen mit ihm ist eine Bereicherung. „Alles, was du dir im Kopf vorzustellen vermagst, kannst du auch in die Realität umsetzen“: So ein Satz kommt ihm leicht über die Lippen. Solch Kühnheit ringt einem Respekt ab und reißt auch jene mit, die für sich selbst nicht beanspruchen, jeden Tag die Welt aus den Angeln zu heben. Typen mit Ecken und Kanten, Menschen wie Joachim, sind für eine Dorfgesellschaft wichtig. Wir können uns an ihnen reiben, das ist das eine. Sie zeigen uns aber auch, was alles möglich ist. Im Fall des Refugiums ist es ein Boutique-Hotel, das völlig neue Gäste in die Seengemeinde bringen wird.
Offenheit und Kommunikation
Neben dem Tag der Offenen Tür, der ganz Lunz Beine machte, haben Joachim und Heinz schon während der gesamten Bauphase Offenheit und Kommunikationsfreude an den Tag gelegt. Sie haben sich Zeit genommen für individuelle Baustellenbesichtigungen, haben sich erklärt und früh Kooperationen gesucht – zu anderen heimischen Handwerkern, wie etwa der Firma Bachler Metalltechnik, die stilvolle Geländer anfertigte, aber auch zu regionalen Produzenten, die mit ihren Spezialitäten die Basis für die Küche des Refugiums bilden. Sie sparten im Gespräch die Rückschläge und Herausforderungen nicht aus. Auch deshalb entstand eine Verbundenheit, weil jeder merkte, wie sehr dieser große Wurf alle Beteiligten an ihre Grenzen brachte.
Was kommt zuerst? Vom Wert der richtigen Rahmenbedingungen
Und dann müssen wir auch auf das Umfeld blicken, in dem sich Projekte wie das Refugium entfalten können. Vor rund zehn Jahren hätten Lunz am See noch die wenigsten auf der Rechnung gehabt, jetzt schreibt mir eine Kollegin aus dem Tourismus, dass „Lunz immer mehr zum Hotspot wird“. Sie habe gehört, dass nach dem Refugium schon das nächste touristische Projekt anlaufe, ob denn das stimme?
Abwanderung, leere Ortskerne, Nachfolgeprobleme bei Betrieben: Die Probleme, die Orte in peripheren Räumen zu schaffen machen, schlugen in Lunz am See lange Zeit ganz besonders vehement auf. Wie reißt man da das Ruder herum? Gibt es den einen Punkt, ab dem sich der Lauf der Dinge ändert, die eine Maßnahme, die alle kommunalen Schmerzen heilt?
Nein, bestimmt nicht. Aber mit Blick auf Lunz am See und die Region rundherum lässt sich feststellen, dass es zunächst öffentliches Engagement benötigt, damit sich in der Folge privatwirtschaftliche Aktivitäten entfalten. Seebühne, Ybbstalradweg, Breitbandoffensive, Haus der Wildnis, Begegnungszentrum: Diese örtlichen und regionalen Leitprojekte sorgten für ein Umfeld, das Unternehmen anspornt, nicht zuletzt, weil sie darin neue wirtschaftliche Chancen erkennen. So wird ein Schwungrad, eine Aufwärtsspirale in Gang gesetzt, die Ergebnisse zeitigt, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Denn Pioniere wie Joachim und Heinz packen die Gelegenheit beim Schopf, wenn sie auf ein positives Umfeld, auf ein Klima des Zutrauens und Bestärkens stoßen. Es passt ins Bild, dass im Mai Andi Buder und Karin Hager einen neuen Radverleih eröffnen. Und nur wenige Meter vom Refugium entfernt formt gerade ein anderer Pionier der Peripherie, Adi Strigl, ein weiteres ehrwürdiges Haus zu einer touristischen Attraktion.
Bevor wir unsere Spazierroute verlegen, kehren wir aber morgen im Refugium zum Kaffee ein. Und dann geht’s auf einen Abstecher zum Lunzer See.
Zusammenfassung oder: Was wir vom Refugium für die Regionalentwicklung lernen können
- Aufgabe von Gemeinden und regionalen Organisationen ist es, Pioniere in ihrem Handeln zu bestärken, ihnen maximal zu helfen und ihnen den Rücken freizuhalten. Bildlich gesprochen: Wir müssen die Menschen, die Großes vorhaben, umarmen statt sie kritisch zu beäugen.
- Die öffentliche Hand ist es, die den ersten Schritt machen muss. Sie spannt – zum Beispiel durch kluge Investitionen in Infrastrukturen – den Rahmen der Möglichkeiten erst auf, den andere dann dank ihrer Vorstellungs- und Schaffenskraft befüllen. Das eine Projekt ergibt das nächste und Gemeinden transformieren sich mit jedem neuen Akzent zu einem besseren Ort.
- Gute Projekte erkennen wir daran, dass sie Menschen sehr früh informieren und involvieren. Dabei geht es nicht um eine Hochglanz-PR-Maschinerie, die Anrainer und Stakeholder überreden will, sondern Kommunikation, die ein Vorhaben mit all ihren Höhen und Tiefen verständlich macht. So entsteht Empathie für Projekt und Projektanten.
- Und schließlich sollten wir uns die Rolle von Leitbetrieben für eine gelingende Regionalentwicklung vor Augen halten. Sie sind nicht nur ökonomisch relevant (Arbeitsplätze, Kommunalsteueraufkommen), sondern auch für das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis eines Ortes entscheidend. Es ist kein Zufall, dass Geschäftseröffnungen, Betriebsansiedlungen oder Tage der Offenen Tür oft zu den schönsten Volksfesten ausarten. Wir sollten diese Anlässe bewusst zelebrieren.
Stefan Hackl ist Geschäftsführer bei Eisenstraße Niederösterreich. 8. April 2023
P.S. Mehr zum Refugium finden Sie hier:
Artikel auf lifestylehotels.net
Fotos von Sauna, Zimmer und Restaurant – Facebook-Eintrag von Viennissima Lifestyle
Video-Porträt über Joachim Mayr im Rahmen der Eisenstraße-Initiative „Geht the Most“ (2021)
Mit meinen Artikeln möchte ich Menschen, die in Gemeinden oder regionalen Organisationen tätig sind, in ihrer wichtigen Arbeit bestärken und sie zu einer empathischen und relevanten Regionalentwicklung inspirieren. Den ersten Probegalopp habe ich im Vorjahr mit dem Text „Woran wir ein zukunftsfähiges Dorf erkennen: Von Reinsberg lernen“ unternommen:
https://www.clubofrome-carnuntum.at/2022/14217/