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Keine Gnadenfrist für das Klima

Der Himmel blau, das Wasser klar und die Luft rein. Kein Kondensstreifen zog sich über den Himmel, kein Stau auf den Straßen. Mutter Erde ging es gut, und für viele Menschen war die Natur ein Rückzugsort, um sich von den Schwierigkeiten der Corona-Krise zu erholen. Heute, mehr als ein Jahr nach dem ersten Lockdown, scheint für viele die Bedeutung der Natur und eines gesunden Klimas schon wieder vergessen zu sein. Mittlerweile zählt nur, dass die Wirtschaft wieder voll auf Touren kommt. Gut so!

Doch wir dürfen auch den Klimaschutz nicht außer Acht lassen, denn es ist fünf vor zwölf. Die Unwetterextreme der vergangenen Wochen mit Hitzewellen und Temperaturrekorden, gefolgt von schwersten Unwettern, haben uns wieder gezeigt, dass wir mit unseren Hausaufgaben in Sachen Klimaschutz weit in Verzug sind. Die Konsequenz: Ortschaften stehen unter Wasser, Autos, Dächer und Fassaden sind von Hagelschloßen in Tennisballgröße zersiebt, Landwirtschaftskulturen werden vom Hagel regelrecht zerhäckselt. Die Schäden durch Frost, Dürre, Hagel, Stürme und Überflutungen betragen heuer bereits mehr als 140 Millionen Euro – und es ist erst Mitte Juli. Ein Ende ist nicht absehbar. Neben großem Leid und Verwüstungen ist der Klimawandel vor allem teuer.

Die gesamte Volkswirtschaft und die Landwirtschaft stehen vor großen Herausforderungen. Die entscheidende Frage für unser Überleben ist: Wann wachen wir endlich auf und unternehmen etwas dagegen? Faktum ist: Wir brauchen einen Wandel. Wir brauchen Maßnahmen auf globaler, europäischer und nationaler Ebene, weil die Summe der Einzelteile das Ganze ergibt. Wir müssen Energie sparen, die Energiesysteme auf erneuerbare Energieträger umstellen und unser Mobilitätsverhalten überdenken, hin zu mehr Öffis und E-Mobilität. Es braucht aber auch eine Kostenwahrheit. Ein Flugticket Wien-Budapest kostet 9 Euro, Kerosin ist steuerfrei, für umweltfreundliche Bahntickets ist eine Umsatzsteuer fällig – da stimmt etwas nicht. Wir brauchen auch eine Änderung unseres Konsumverhaltens zu mehr regional erzeugten Lebensmitteln, die nicht erst tausende Kilometer weit reisen, bevor sie in den Regalen landen. Die Politik muss die nötigen Rahmenbedingungen im Kampf gegen die Klimakrise setzen.

Es geht beim Klimaschutz auch um den Bodenschutz: Unverbauter Boden gibt Menschen, Tieren und Pflanzen Lebensraum. Daher muss uns auch der Umgang mit unseren Ressourcen Boden, Luft und Wasser zu denken geben. Das Naturkapital braucht eine eigene Kennzahl in der BIP-Berechnung. Überhaupt dürfen wir den Wohlstand einer Gesellschaft nicht nur am BIP messen. Es geht um mehr. Warum? Tagtäglich verbauen wir in Österreich Agrarflächen in der Größe von 16 Fußballfeldern. Wir sind bei der Dichte des Straßennetzes und bei den Supermarktflächen bereits Europameister, aber im negativen Sinn. Mit diesem unrühmlichen Titel gefährden wir die heimische Lebensmittelproduktion und treiben die Klimakrise ungehindert voran.

Bei Corona gab es einen globalen Schulterschluss. Nutzen wir ihn auch für den Klima- und Bodenschutz – sonst werden unsere Kinder einst fragen: Warum habt ihr uns die Erde in diesem Zustand hinterlassen?

Kurt Weinberger

Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung und Vorsitzender des Universitätsrats der Universität für Bodenkultur

Wiener Zeitung, 14.07.2021

https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2112291-Keine-Gnadenfrist-fuer-das-Klima.html?fbclid=IwAR362LkBAHXsrsfXTuGPdL4RvlpvHMFEnOs4XxI9sSHkovpVutDO3P9jZ48