Meine Theorie der Transformation

Charly Kleissner

Meine Theorie der Transformation

Geboren am Sonntag, dem 16. Juni 1956 in Schwaz in Tirol, war Charly Kleissner in den 1980er und 1990er Jahren einer der wichtigsten Software-Pioniere im kalifornischen Silicon Valley. Als Leiter eines Teams von 700 Ingenieuren hat er unter anderem Programme für den legendären Apple-Gründer Steve Jobs entwickelt.

Anfang der 2000er Jahre ist Charly Kleissner ausgestiegen und hat seine Firmenanteile verkauft. Mitausgelöst hatte dies eine existenzielle Krise und eine darauffolgende spirituelle Entwicklung des erfolgreichen Software-Managers. Sein finanzielles Vermögen hat er fortan für sogenanntes Impact-Investment genützt, mit dem Sozial-Unternehmerinnen und -Unternehmer vorwiegend in Entwicklungsländern beim Aufbau unterstützt werden. Charly Kleissner möchte die Art, wie Kapitalismus funktioniert, von Grund auf verändern, wie er sagt. Dazu müsse es gesellschaftlich gelingen, Geld in einer verantwortlichen Weise zu nutzen.

Auf https://charlykleissner.com/ skizziert er seine Theorie der Transformation:

„Wir stehen am Anfang eines beispiellosen globalen Wandels. In den nächsten Jahren müssen wir herausfinden, wie zehn Milliarden Menschen nachhaltig und zielstrebig innerhalb der Grenzen eines Planeten mit begrenzten Ressourcen leben können. Dieser Wandel führt vom gegenwärtig nicht nachhaltigen Weg der menschlichen Evolution zu einem ganzheitlich nachhaltigen Weg, der ökologische, soziale, finanzielle und spirituelle Nachhaltigkeit einschließt.

Während dieses Übergangs werden sich alle Systeme ändern: das Bildungssystem, das Verkehrssystem, das Gesundheitssystem, regionale Systeme und – am wichtigsten – das Finanz- und Wirtschaftssystem. Der Status quo inkrementeller und linearer Ansätze für systemische Probleme wie Armut, Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Ungleichheit reicht nicht mehr lange aus; es ist jetzt an der Zeit, über den Tellerrand hinauszublicken, sich gemeinsam die Zukunft vorzustellen, die wir wollen und brauchen, und sie gemeinsam zu gestalten.

Dies erfordert ein erhöhtes und tieferes Bewusstsein und eine tiefere Wahrnehmung – da die Entwicklung der Menschheit in hohem Maße eine Widerspiegelung des Zustands des menschlichen Bewusstseins ist. Die Verantwortung, das menschliche Bewusstsein zu erhöhen, liegt ganz bei uns. Mein Ziel ist es, das menschliche Bewusstsein so zu entwickeln, dass es im Einklang mit dem Universum steht. Dies tue ich, indem ich ein spirituelles, regeneratives und freudvolles Leben führe – im Dienste anderer und in Gemeinschaft mit ihnen.“

 

Wie ein Dorfgeld eine Gemeinde vor dem Sterben bewahrt hat

WIENER ZEITUNG:

Wie ein Dorfgeld eine Gemeinde vor dem Sterben bewahrt hat

Ohne Moos nix los: Der Ort Langenegg in Vorarlberg lässt seit knapp 15 Jahren eigenes Geld drucken. Sogar aus Japan kommen Delegationen, um sich das Modell anzusehen.

Tote Hose auf dem Land. Tristesse zwischen den Ortstafeln. Kein Geschäft, kein Café, kein Garnichts. So sieht es halt aus, wenn ein Dorf stirbt. Wenn man Glück hat, gibt’s beim nächsten Kreisverkehr auf der Landstraße ein Konglomerat an Filialen von großen Supermarkt-Ketten. Und vielleicht irgendwo eine Tankstelle als letzten verbliebenen sozialen Treffpunkt.

Ist das der unaufhaltsame Lauf der Dinge? Nein. Das zeigt ein kleines Dorf in Vorarlberg. Das Geheimrezept der Gemeinde Langenegg: eigenes Geld, die Langenegger Talente.

Denn das Dorf ist eine der wenigen Gemeinden in Österreich, die über eine Regionalwährung verfügen. Die sogenannten Langenegger Talente sehen für das Euro-gewohnte Auge wie Monopoly-Geld aus. 1er-, 5er-, 10er-, 20er- und 50er-Scheine gibt es. Sie sind kürzer als Euroscheine, aber sie sind ebenfalls auf Sicherheitspapier gedruckt, und jeder Schein hat eine andere Farbe. So gibt es keine Probleme bei der Kassa, erzählt die örtliche Supermarkt-Leiterin Monika. Sie hatte am Anfang Bedenken wegen der Währung. Aber inzwischen ist sie absolut davon überzeugt. Es mache bei der Abrechnung keinen Unterschied. Geld ist Geld.

Offiziell ist eine Regionalwährung keine Konkurrenz zum Euro, sondern nur eine Komplementärwährung. Das bedeutet auch, dass sie klein bleiben muss. Der Kreis der Benutzer:innen und die lokale Verbreitung müssen überschaubar bleiben. Wien zum Beispiel wäre viel zu groß.

Big in Japan

Langenegg will aber auch nicht Stadt sein, sondern Dorf bleiben. In ruralen Kreisen ist die Gemeinde im entlegenen Bregenzerwald weltberühmt. Aus Süddeutschland, aus der Schweiz und sogar aus Japan kommen Delegationen von Bürgermeister:innen, um sich anzusehen, was die 1.100 Menschen in Langenegg besser machen als andere Dörfer.

Für Langenegg kam der Moment der Wasserscheide 2008. Da war absehbar, dass der Dorfgreissler in Pension geht. Nachfolger:in gab es keine/n. Dorfgreissler, Gasthaus, Café, Sennerei: Sie halten die Dorfgemeinschaft am Leben. Ohne die sozialen Treffpunkte stirbt ein Dorf. Der Tod von Langenegg schien unaufhaltsam. Viele Langenegger:innen pendeln zum Arbeiten ohnehin raus aus dem Ort und kommen an zahlreichen Supermärkten vorbei.

Aber Langenegg stemmte sich dagegen. In einem gemeinsamen Kraftakt entschieden sich die Bürger:innen, die Geschäfte weiterzuführen. Aber um solchen kleinen Betrieben das Überleben zu sichern, brauchte es eine Garantie: eine eigene Dorfwährung. Die Langenegger Talente sind ein „Anreiz”, sagt der Unternehmensberater Gernot Jochum-Müller zur WZ, der die Gemeinde damals bei der Umstellung betreut hat und dessen Genossenschaft Allmenda auch die Technik bereitstellt.

Abos und Förderungen

Über ein Abo-System tauschen seit 2009 rund 15 bis 20 Prozent der 450 Haushalte in Langenegg ihr Geld in die lokale Währung um. Das sind zumeist Beträge zwischen 100 und 500 Euro, monatlich werden so 11.000 Euro in die bunten Scheine gesteckt.

Die Gemeinde vergibt ihre Förderungen nur in der Dorfwährung: Fußballverein, Blasmusik und Feuerwehr können mit dem Geld nur in Langenegg bezahlen – damit unterstützen sie die lokale Wirtschaft.

„Die Gemeinde kurbelt damit Kooperationen und einen Zusammenhalt an, der so sonst nicht stattfinden würde“, sagt Jochum-Müller. Volkswirtschaftlichen Berechnungen zufolge werden auf diese Art 680.000 Euro im Jahr in dieser kleinen Gemeinde gebunden.

Um eine zusätzliche Motivation zum Wechseln in die lokale Währung zu schaffen, vergibt die Gemeinde einen Rabatt von drei Prozent: Für 100 Talente zahlt man 97 Euro.

Kreislauf statt Einbahnstraße

Subventionen sind normal. In Vorarlberg sind 60 Prozent der kleinen Nahversorger in den Gemeinden in irgendeiner Form gestützt. Aber die normale Ausschüttung einer Förderung bleibt eine Einbahnstraße. Das Dorfgeld ist hingegen für die Zirkulation gedacht. Das macht den großen Unterschied zu Gutscheinen oder Stadtkarten aus: Auch hier wird Geld oder Währung zwar im Shop oder in der Stadt gebunden. Aber nach einem einmaligen Umsatz ist der Effekt wieder verschwunden.

Die Hälfte der Arbeit ist die Überzeugungsarbeit

„Es braucht gerade am Anfang eine große Portion Mut und Überzeugungsarbeit. Weil man alle beteiligten Betriebe gewinnen muss“, erzählt Jochum-Müller. „Der Betrieb muss auch einsehen, dass nicht nur das eigene Wohlergehen wichtig ist. Das System funktioniert nur, wenn es allen gut geht.” Jochum-Müller und seine Genossenschaft haben Erfahrung mit Regionalwährungen. Sie haben auch den V-Taler in Vorarlberg und den oberösterreichischen Ennstaler eingeführt. Ehrenamtlich, denn sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt ein Stück gerechter zu machen.

Überproportional viel gemeinschaftliches Tun

In Langenegg funktioniert das Anreizsystem. Das Dorf verfügt inzwischen über 21 Vereine und etwa acht weitere Initiativen, erzählt Langeneggs Bürgermeister Thomas Konrad. 40.000 Euro werden in Form von Langenegger Talenten jährlich in die Vereine gesteckt.

Konrad ist, wie der Rest der Gemeindevertretung, parteifrei. Das hat in Langenegg Tradition, macht den Ort aber zu einem Unikum in der Region. Das Parteifreie macht es leichter, sich in der Sache zu einigen, meint Konrad.

Ähnlich Denkende werden angezogen

Langenegg hat dank der Wiederbelebung eine Strahlkraft entwickelt – der Ort wächst und zieht Menschen an, die ihrerseits wiederum Lust daran haben, die Ärmel hochzukrempeln.

„Vielen Neuzugezogenen muss man den Gemeinschaftsgedanken nicht mehr erklären, weil die ihn von Haus aus suchen“, sagt Konrad, der selbst aus Dornbirn hergezogen ist. „Früher hat man sich aufs Land verzogen, um auch anonym zu sein. Aber heute will man wo sein, wo Gemeinschaft ist, wo Kinder gut aufwachsen können.“

Die Herausforderungen sind nun, mit der Attraktivität zurande zu kommen. Zwischen 50 und 100 Menschen kommen pro Jahr in Langenegg dazu. Mit dem Raum muss sorgsam umgegangen werden. Feriensiedlungen existieren nicht, obwohl der Bregenzerwald eine Tourismus-Region ist. Die, die hier wohnen, engagieren sich, die Zukunft fest im Blick.

Dörfer sterben. Langenegg lebt.

Konstanze Walther, WIENER ZEITUNG, 3.5.2024

https://www.wienerzeitung.at/a/ein-dorfgeld-gegen-das-dorfsterben

Daten und Fakten

  • Viele versuchen, in einer globalisierten Welt Geld und Produktion vor Ort zu halten. Den wenigsten gelingt es längerfristig. Das Modell Regionalgeld kommt oft aus der Anfangsphase nicht heraus, lieber wird über Förderungen oder Gutscheine operiert. Ein Dorfgeld, das seit knapp 15 Jahren funktioniert, ist selten.
  • Dass die kleine Gemeinde Langenegg besonders ehrgeizig ist, hat sie vor 100 Jahren bereits gezeigt. Die Genese Langeneggs klingt wie eine Geschichte aus einem Asterix-Band: Früher gab es nämlich Ober- und Unterlangenegg. Ein wohlhabender Bauer hatte seinen Bauernhof genau an der Grenze der beiden Dörfer und musste Abgaben an beide Dörfer zahlen. In seinem Testament erklärte der kinderlose Landwirt: Er würde Hab und Gut der Gemeinde vererben, wenn sie sich zusammenschlössen und auch soziale Aspekte berücksichtigen würden. Binnen eines Jahres schafften die Dörfer den Zusammenschluss.
  • Die Langenegger Talente werden auf Sicherheitspapier alle drei Jahre neu aufgelegt und repräsentieren auf den Bildern immer ein Thema, das für das Dorf wichtig ist. Derzeit sind es Wahrzeichen des Ortes. Zuvor wurden Vereinssujets abgebildet.
  • Über ein Abo-System können Euros gegen Talente getauscht werden. Das macht die Talente zu einer Euro-gedeckten Regionalwährung.
  • Die zweite große Komplementärwährung in Vorarlberg, der V-Taler, ist eine Leistungs-gedeckte Währung (Arbeitseinheit wird mit V-Taler gegengerechnet).
  • Weitere aktive Euro-gedeckte Regionalwährungen (Umtausch in Euro) in Österreich:
  • Ennstaler
  • Styrrion
  • Neulengbacher 10er

 

Gesprächspartner

 

Unser Fiebertraum vom Wachstum

Gespräch in der Zeitschrift DER PRAGMATICUS mit Univ.-Prof. Mag. Dr. Dr. Martin Grassberger:

Unser Fiebertraum vom Wachstum

Dieses Effizienz- und Wachstumsparadigma ist am Ende, argumentiert der Mediziner Martin Grassberger und schlägt eine Alternative vor.

Der Mediziner Martin Grassberger sagt genau die Dinge, die derzeit kaum jemand hören möchte. Etwa, dass der Kollaps unserer Lebensgrundlagen längst begonnen hat, und dass noch mehr Technik und noch mehr Effizienz die Probleme unserer Zeit nicht lösen. Und das ist nicht einmal schlimm. Er hat nämlich einen anderen Vorschlag: Regeneration.

Was beschäftigt Sie gerade?

Martin Grassberger: Ich habe gerade ein neues Buch fertiggestellt, und mich beschäftigt aktuell die Frage, wie die Inhalte aufgenommen werden.

Um was geht es in dem Buch?

Es heißt Regenerativ und ist ein eher unkonventioneller Versuch, die Ursachen der Metakrise oder Polykrise zu erklären, und auch, wie wir wieder aus diesen verschachtelten Krisen oder, eher, aus der übergeordneten Metakrise herauskommen.

Worin besteht aus Ihrer Sicht die Metakrise?

Es existiert die These, dass all die vielen unterschiedlichen Krisen – die Klimakrise, der Arten- und Biodiversitätsverlust, Migration, Demokratiemüdigkeit, die geopolitischen Krisen – letztlich eine Krise der menschlichen Kognition sind, eine Krise unserer Wahrnehmung und unseres Selbstverständnisses.

Das klingt so, als müssten wir die Dinge nur anders betrachten, dann lösten sich die Probleme, die wir haben, von selbst.

In gewisser Weise stimmt das. Nur müssen wir komplett umdenken und verstehen, dass wir Teil komplexer Systeme sind – unser Körper ist ein komplexes System, die Gesellschaften, das Klima, die Umwelt, das globale Wirtschaftssystem. In diesen Systemen kommt es nicht so sehr auf die einzelnen Elemente an, sondern auf die Vielzahl der Verbindungen zwischen ihnen. Der Mensch versucht nun permanent, Probleme mit einfachem linearem Denken zu lösen. Das kann jetzt nicht mehr gelingen. Der Denkfehler, den der Mensch macht, ist zu glauben, man könne komplexe Systeme kontrollieren oder gar dominieren. Das kann bzw. sollte man nicht.

Nein?

Nein. Diese vermeintliche Kontrolle, das versuche ich im Buch zu erklären, ist eine Illusion, die daher rührt, dass wir unsere gesamte Wahrnehmung und die Deutung der Welt der linken Gehirnhälfte überlassen haben.

Das müssen Sie genauer erklären, bitte.

Wir haben zwei Hirnhemisphären und früher nahm man an, die linke Gehirnhälfte steuere alles Analytische und Pragmatische, rechts sei die Kreativität zuhause. Das stimmt erwiesenermaßen nicht. Was aber stimmt, ist, dass unsere Gehirnhälften die Welt unterschiedlich wahrnehmen. Die linke Gehirnhälfte neigt zum Kategorisieren und Abstrahieren, die rechte bettet diese Wahrnehmungen in ein größeres Ganzes ein und verbindet die Information mit Gefühl, mit Erfahrung und „sieht“ auch die Qualitäten und Möglichkeiten. Sie ist gewissermaßen die weisere von den beiden Hirnhälften. Wir brauchen beide Gehirnhälften, um zu überleben, aber in der Welt, die wir geschaffen haben, dominiert die linke Gehirnhälfte. Das heißt, wir nehmen unsere gesamte Welt nur noch reduktionistisch war, weil wir die Komplexität der Biosphäre, deren Teil wir sind, auf Zahlen reduzieren: das Bruttoinlandsprodukt, die CO2-Konzentration, Temperatur, Körpergewicht etc. etc. 

 

Warum ist das ein Problem? Die Zahlen leisten doch gute Dienste.

Das Problem ist, dass die Zahlen nicht die ganze Realität abbilden. Es sind sehr nützliche Abstraktionen, aber nicht mehr. Die Erkenntnisse, die wir daraus gewinnen können, sind begrenzt. Trotzdem ist die Abstraktion von der lebendigen Welt so dominant, dass sie verhindert, dass wir die Probleme, die wir haben, in ihrer Ganzheitlichkeit sehen und lösen können. In meinem Fachgebiet, der Humanökologie, wo es darum geht, wie der Mensch seine sogenannte Umwelt verändert und wie diese wieder auf ihn zurückwirkt, arbeite ich auch mit diesen Abstraktionen. In meinen zwei bisherigen Büchern lege ich wissenschaftlich korrekt, mit vielen Informationen und Statistiken untermauert dar, wie sich ökologische Umweltveränderungen auswirken, auf die Landwirtschaft, die Ernährung, die Ressourcen usw. und zeige, dass unsere Lebensgrundlagen auf dem Spiel stehen. Es ist alles völlig korrekt – nur scheint es niemanden zu tangieren. Das liegt daran, dass wir die meisten Entscheidungen emotional treffen.

Aber diese Emotionen haben keine Resonanz, meinen Sie?

Ja. Wir glauben ja fest daran, dass wir die ökologischen Verwerfungen durch gute Wissenschaft lösen können, oder? Wir denken, dass im technischen Fortschritt immer die Lösung enthalten ist. Wenn man sich nur ein bisschen mit Systemwissenschaft beschäftigt, weiß man, dass eigentlich genau das Gegenteil der Fall ist, denn unsere Wirtschaftssysteme und unser Fortschritt haben uns erst in diese Situation gebracht, in der wir jetzt sind. Es ist eine auf falschen Grundannahmen basierende Idee, dass ewiges Wachstum wirtschaftlich möglich wäre. Dieser Trugschluss ist auch ein Ergebnis unserer kulturellen Entwicklung und unserer Kognition. Wir hoffen immer, dass technische Lösungen uns einer guten Zukunft näher bringen, dabei entfernen wir uns immer weiter von dem, was wir sind, nämlich Tiere in einer komplexen Biosphäre.

Die meisten Menschen wollen das ja genau nicht sein, ein Tier in der Biosphäre. Das macht die Idee von Fortschritt und Wachstum wahrscheinlich attraktiv.

Es geht nicht um eine Rückabwicklung von zivilisatorischen Errungenschaften. Der Mensch hat durch Zufall ein recht komplexes Gehirn entwickelt, das wunderbare Dinge vollbringen kann, besonders dann, wenn auch die rechte Hemisphäre mitspielen darf. Das sehen wir immer zu Beginn von Zivilisationen: Kunst, Kultur und Wissenschaft explodieren förmlich, denken Sie etwa an das frühe Griechenland oder das frühe Römische Reich. Der Mensch hinterfragt sich selbst, ist selbstreflexiv. Mit der Fortdauer einer Zivilisation beginnt aber die Bürokratie, die linkshemisphärische Wahrnehmung, allmählich zu dominieren. Man versucht, alles zu kontrollieren, zu kategorisieren, zu verwalten, und immer dann, wenn diese Verwaltung auf einem Höhepunkt ist, ist eine Zivilisation an ihrem Ende angelangt. Es könnte durchaus sein, dass wir jetzt in so einer sehr späten zivilisatorischen Phase leben, in der alles kontrolliert und überbürokratisiert ist. 

Dies klingt nach einem bevorstehenden zivilisatorischen Zusammenbruch, der für viele wohl eine denkunmögliche Vorstellung ist. 

Ich glaube nicht, dass die Menschheit aufhören wird zu existieren, sondern es werden die Dinge, die wir jetzt in unserer Zivilisation und Kultur als selbstverständlich sehen, für längere Zeit oder vielleicht sogar für immer einfach nicht mehr zur Verfügung stehen. Wir sind dabei, die komplexe Lebenswelt, deren Teil wir sind, zu zerstören. Wir haben zwei Drittel der wildlebenden Tiere verloren, dramatische Rückgänge bei den Insekten, einen unglaublichen Verlust an Arten und an fruchtbarem Boden. Wir verbrauchen immer mehr Energie, obwohl wir immer effizienter werden, weil in allen Produkten, von denen wir immer mehr und mehr konsumieren, fossile Energie steckt. Die können wir aus ökologischen und aus Ressourcengründen auch nicht durch erneuerbare Energien ersetzen. Das stellt unsere Wirtschaft in Frage, denn die beruht auf billiger, stets verfügbarer Energie. Egal wo man politisch steht, muss man begreifen, dass dieses Modell von Wachstum und Konsum an einer ultimativen Grenze angekommen ist.

 

War diese negative Entwicklung, die Sie beschreiben, eine zwangsläufige Folge? Wäre es auch denkbar gewesen, den Fortschritt ohne die Zerstörung zu haben?   

Aus der Ökologie kennt man die sogenannten adaptiven Zyklen. Alle Ökosysteme haben am Anfang Phasen raschen Wachstums, das dann abflacht und in eine Erhaltungsphase übergeht, danach folgt eine Freisetzungsphase, in der die gespeicherte Energie wieder freigesetzt wird. Pflanzen sterben ab, werden zersetzt, es entstehen wieder neue Pflanzen, der Kreislauf beginnt von Neuem. Das ist die Kurve allen Lebens und auch allen menschlichen Lebens und der menschlichen Kulturen und Zivilisationen. Wenn wir in dem Bild bleiben, dann geht es jetzt darum, dass wir unserer Freisetzungsphase entgegenblicken. Der Ökonom Joseph Schumpeter hat diesen Prozess kreative Zerstörung genannt: Die Zerstörung ist dazu da, ein System nicht erstarren zu lassen. Im Moment arbeiten wir aber genau der Erstarrung zu, indem wir alles daransetzen, die Erhaltungsphase durch Subventionen und weitere Effizienzsteigerung zu verlängern. Man nennt das auch Rigiditätsfalle. Das ist aus vielen Gesichtspunkten ein Problem, weil Effizienzsteigerung heißt, dass man aus einem System die Redundanz entfernt. Zum Beispiel die Landwirtschaft: Wenn viele kleine Betriebe unterschiedliche Lebensmittel produzieren, dann ist das nicht sehr effizient, aber effektiv, weil die Redundanzen – die vielen Betriebe –dafür sorgen, dass das System stabil und resilient ist. Es bleibt erhalten, auch wenn ein Element ausfällt. Überlässt man die Lebensmittelproduktion dem globalen Warenhandel mit einförmigen Produkten und wenigen Playern ist das zwar effizient, aber anfällig für Störungen bis hin zum kompletten Zusammenbruch.

Was hindert Gesellschaften heute daran, es anders zu machen?

Das Erzeugen von Redundanzen im System, damit es resilient und stabil ist, kostet Geld. Alles, was auf Kosten der Effizienz geht, kostet Geld, und die Kosten sind ein Hindernis in einer Welt, die immer weiteres Wachstum anstrebt. Sobald Kosten entstehen, bremsen diese das Wachstum. Wenn das Wachstum aber der Fetisch ist, ist man permanent gezwungen, die Kosten zu senken oder am besten zu eliminieren. Endloses Wachstum gibt es in der Natur und in der Wirtschaft aber nicht. Endloses Wachstum ist ein Fiebertraum: Wenn ich von einem Konto nur abhebe, ohne einzuzahlen, wird bald nichts mehr da sein; ein Boden, der auf Ertragssteigerung bewirtschaftet wird, wird irgendwann unfruchtbar sein. 

Was ist die Alternative zum Wachstum?

Es ist das, was ich regenerativ nenne. Regeneration ist mehr als Nachhaltigkeit. Es meint, einen Zustand nicht nur zu erhalten, sondern zu verbessern, also Bedingungen zu schaffen, damit sich Systeme eigenständig optimal weiterentwickeln bzw. regenerieren können. Für die Landwirtschaft heißt das zum Beispiel, dieses Wunder Bodenleben zu fördern, damit es Tiere und Menschen gesund ernähren kann. Regenerative Wirtschaft und regenerativer Kapitalismus heißt, dass wir immer wieder auch einzahlen müssen, damit das System langfristig funktionieren kann. Das setzt eine große psychologische Transformation voraus, nämlich, sich wieder als Teil der Natur zu sehen. Eben nicht effizient sein zu wollen, sondern effektiv. Nicht nur weniger Schaden anrichten zu wollen, sondern aktiv etwas Gutes bewirken zu wollen. Der Mensch hat das Potenzial dazu. Wenn diese Transformation gelingt, können wir auch die Krisen meistern.

Wenn man einen Blick in die Politik wirft, dann bekommt man den Eindruck, dass selbst diejenigen, die ganz unmittelbar davon profitieren würden, dieses Potenzial nicht realisieren wollen. Landwirte sind für Agrardiesel-Subventionen auf die Straße gegangen. Warum ist das so?  

Wenn wir die enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft betrachten, sehen wir, dass es eigentlich nur ganz wenige sind, die von dem derzeitigen System profitieren. Diese wenigen haben eine unheimliche Macht, auch medial. In einer Welt, die kommunikativ so eng vernetzt ist, die ständig eine neue Erregung braucht, und die noch dazu von Desinformation geradezu geflutet wird, müssen wir uns fragen, welche Realität die Bilder, die wir zum Beispiel von den Bauernprotesten sehen, eigentlich abbilden. Die globale Landwirtschaft ist so heterogen und besteht aus so vielen unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Möglichkeiten. Es gibt darunter sehr viele, die verstanden haben, dass sie das Leben fördern müssen, wenn sie ihren Betrieb an die kommenden Generationen weitergeben wollen. Das ist aber medial weit weniger interessant, weil es kein Erregungspotenzial birgt. Hinzu kommt, dass unser politisches System eine Abkehr von dem Effizienz- und Wachstumsparadigma nicht zulässt. Welcher Politiker würde sagen, dass wir eine Rückwärtsschleife einbauen müssen?

Sie sagten zu Beginn, dass Sie sich fragen, wie Ihr Buch inhaltlich aufgenommen wird. Welche Erwartungen haben Sie?

Mir ist schon im Vorfeld vorgeworfen worden, dass mein Buch fortschrittsfeindlich oder wirtschaftsfeindlich sei. Dahinter steckt die Idee, dass es Wirtschaft nur mit Wachstum geben kann und dass Fortschritt immer ein technischer Fortschritt ist. Ich will Alternativen zeigen:  Es kann auch ein unheimlicher Fortschritt sein, von manchen Dingen und Vorstellungen loszulassen. Denn: Was braucht der Mensch? Soziale Beziehungen, genug Nahrung, Sicherheit, Wärme und auch schöne Momente, Kunst und Kultur, Spiritualität. Mein Buch ist ein Denkangebot. 

Ein Denkangebot, das vielen vermutlich Angst macht: Kunst, Kultur und Spiritualität werden ja gemeinhin als Luxus gesehen, zuerst muss die Wirtschaft funktionieren. Für viele ist das Denkangebot vermutlich eine Drohung mit Verlust.

Ja, das ist das, was wir täglich ausgerichtet bekommen. Es löst eine wahrgenommene oder auch subtile Angstreaktion aus, die keine guten Zukunftsentscheidungen zulässt: Im Wachstumsnarrativ ist Wohlergehen untrennbar mit Wirtschaftswachstum und Konsum verknüpft. Rohstoffe extrahieren, verarbeiten und entsorgen – das kann langfristig nicht funktionieren.

Also Verzicht?

Verzicht ist auch ein so aufgeladenes Wort ebenso wie Verbot. Ich denke, das sind falsche Entgegensetzungen und zum Teil auch einfach Propaganda, wie wir sie auch bei den Politikprozessen wie dem Nature Restoration Law erlebt haben: Es wird mit Angst und Drohung gearbeitet. Weil man keine Renaturierung will, die ja im Übrigen in der ausverhandelten Form auch vollkommen unzureichend ist, droht man, die Ernährungssicherheit stünde auf dem Spiel, man könne sich Naturschutz nicht „leisten“. Das ist aber ein wahnhaftes Festhalten an Vorstellungen, die in der Realität überhaupt keinen Anker haben, da wir Teil der Natur sind und ohne sie nicht überleben können. 

Damit sind wir wieder bei der Frage, wie man da rauskommt.

Ich habe mich lange mit dem Werk von Joseph Campbell beschäftigt, einem Anthropologen. Er hat als einer der ersten das Muster der Heldenreise beschrieben, das Teil eines jeden Mythos, einer jeden Erzählung des Menschen bis hin zum Hollywood-Film ist: Ein Held gerät in eine Krise, muss Prüfungen bestehen, droht zu scheitern, was ihn schließlich zu einem Paradigmenwechsel bringt, der schließlich eine gedeihliche Zukunft für ihn und seine Umwelt ermöglicht. Mir scheint, dass wir als Menschen nun diese schmerzhafte Heldenreise antreten werden müssen. Wir befinden uns in einem Übergangszustand, wo das alte ist noch nicht ganz weg und das neue ist noch nicht ganz da ist. Antonio Gramsci hat dies die „Zeit der Monster“ genannt. Es treten Zeremonienmeister auf den Plan, die einfache Antworten verkünden. Deswegen ist es so wichtig, in dieser Übergangszeit eine Orientierung zu haben, und ich denke, diese Orientierung könnte jene am Regenerativ sein, an der Förderung von allen Formen des lebendigen Daseins.

Der Pragmaticus | Über mich: https://www.derpragmaticus.com/ueber-mich

Zum Gespräch: https://www.derpragmaticus.com/r/wachstum?fbclid=IwZXh0bgNhZW0CMTEAAR0R6HUT1w7ZX4dRcYqOusrvP_vdvZjtPEVgef0xwG_RNotFNXPHLkX8aFw_aem_AThLzKy4QJFqA5m_w4rJiG-ZOXY45oKq7ULSJ9bNoTvaW2kcB3Aakbf_om1PfkVKtOTE24LEyaa6OTcanFEYhhSe

Über diese Serie:

„Was beschäftigt Sie gerade?“ ist eine Interviewreihe des Pragmaticus, in der unsere Expertinnen und Experten von ihrer Forschung und allem, was sie beschäftigt, erzählen. Die Themen und der Umfang des Gesprächs sind offen.

Über Martin Grassberger:

Martin Grassberger ist Mediziner und Biologe mit Diplomen in Umweltmedizin und Ernährungsmedizin. Er forscht und lehrt als Professor für Gerichtsmedizin an der Sigmund Freud Universität Wien. Er ist der Wissenschaftliche Leiter der Österreichischen Akademie für Misshandlungsmedizin und ausgebildeter landwirtschaftlicher Facharbeiter. Grassberger hat mehrere Bücher über den Zusammenhang von Ökologie und Gesundheit geschrieben. Sein Buch Das leise Sterben über das Mikrobiom des Bodens und die Landwirtschaft ist ein Bestseller. Zuletzt erschien Das unsichtbare Netz des Lebens und im April 2024 Regenerativ. Aufbruch in ein neues ökologisches Zeitalter. Für den Pragmaticus schrieb Grassberger einen Beitrag über Antibiotika und Pestizide.
 Foto: Martin Grassberger. © privat

ANHANG:

Online-Umfrage am 7.4.2024

7 BesucherInnen haben sich an der Online-Umfrage beteiligt. Mag die Beteiligung bescheiden erscheinen, sind die Rückmeldungen für uns trotzdem sehr aufschlussreich. Das obige Interview in DER PRAGMATICUS ist der Ersatz für einzelne Antworten von Dr. Martin Grassberger auf die 3. Frage.  

Video-Aufzeichnung vom 7.4.2024 Ungeschnittene Rohfassung des Gesprächs von Dorli Muhr mit Martin Grassberger – Gesamtdauer 1 Stunde 36 Minuten.

Vorbild für neue Betriebsgebiete?

Tullnerfeld:

Vorbild für neue Betriebsgebiete?

Keine andere Region in Niederösterreich ist zuletzt so stark gewachsen wie die um den Bahnhof Tullnerfeld. Auch das Interesse von Unternehmen, sich dort anzusiedeln, stieg stark an. Jetzt wird dort ein innovatives Modell für künftige Betriebsgebiete geschaffen.

Neue Betriebsgebiete anzulegen ist in diesen Tagen ein heikles Unterfangen – Stichwort Bodenversiegelung. Dem sollen mit dem Projekt rund um den Bahnhof Tullnerfeld, das von den drei Gemeinden Langenrohr, Judenau-Baumgarten und Michelhausen (alle Bezirk Tulln) betrieben wird, neue Aspekte verliehen werden – allen voran das Sparen von Boden.

Raumplaner Hannes Schaffer hat dazu mit seinem Büro „mecca consulting“ einen Masterplan für die drei Gewerbegebiete, die rund um den Bahnhof angesiedelt werden sollen, erstellt. In der ursprünglichen Planung, als der Bahnhof 2004 fixiert wurde, waren an die 600 Hektar vorgesehen. „Wir haben das auf 65 Hektar reduziert“, erzählt Schaffer: „Es soll ein Komprimieren auf das Wesentliche sein, möglichst viel Wertschöpfung auf möglichst wenig Fläche.“

Aber nicht nur der Flächenverbrauch soll reduziert werden, auch die Art, wie dort Unternehmen entstehen, werde beeinflusst, sagt Schaffer. Und zwar über einen städtebaulichen Wettbewerb, der den Unternehmen klare Vorgaben, etwa zur Bauweise oder Größe, vorgibt. „Die Betriebe bekommen ein Anforderungsprofil, wo klar formuliert ist, welche Art der Entwicklung sie haben. Das Betriebsgebiet soll nicht Kraut und Rüben werden.“

Kompensation für verbrauchte Agar-Flächen

Trotzdem spielt Landwirtschaft eine große Rolle in den Überlegungen. Gemeinsam mit dem Biotech-Campus in Tulln sollen Forschungs- und Produktions-Unternehmen im landwirtschaftlichen Bereich angesiedelt werden, etwa ein Forschungsstandort für Wasserstoff, kündigte der Bürgermeister von Langenrohr und Landwirt Leopold Figl (ÖVP) an: „Wir denken, dass wir mit unserer Lebensmittelproduktion in der Landwirtschaft nachfolgende Technologien nutzen können. Dazu dient der Forschungsstandort Tulln und diese Ergebnisse wollen wir hier im Betriebsgebiet zur praktischen Umsetzung bringen.“

Damit will man eine Art Ausgleich für die versiegelten Ackerflächen schaffen, so der Plan. Grünraum sei in jedem Fall ein wichtiger Teil davon, betont Bernhard Heinl (ÖVP), Bürgermeister von Michelhausen: „Das halte ich für etwas Besonderes, dass mitten durch dieses künftige Betriebsgebiet die Große Tulln fließt, mit einer ausgedehnten Uferzone und weitläufigen, großzügigen Grünräumen. Das gibt es in dieser Form in Betriebsgebieten sehr selten, wenn überhaupt.“

„Keine zweite Südstadt“

Georg Hagl (ÖVP), Bürgermeister von Judenau-Baumgarten, hofft inständig, dass die Pläne aufgehen, „denn wenn es nicht aufgeht, erleben wir hier vielleicht – die Kollegen mögen es mir verzeihen – eine zweite Südstadt, wo alles zersiedelt wird und wo ständig Betriebe angesiedelt werden, das wollen wir hier definitiv nicht.“ Im Gegenteil, Planung und Umsetzung im Tullnerfeld sollen – wenn es nach den Initiatoren geht – zum Modellfall für künftige Betriebsgebiete werden.

Robert Salzer, noe.ORF.at, 19.3.2024 – https://noe.orf.at/stories/3249635/

Link: Raumplanungsbüro mecca consulting

Foto: ORF.at/Lukas Krummholz

Schlupflöcher im Tierschutz

TALK IM CLUB: NÖN-Bericht von Brigitta Trsek:

Früherer Brucker Amtstierarzt verurteilt Schlupflöcher im Tierschutz

Im ausgebuchten Saal des „Dorfgasthauses am Spitz“ in Höflein verfolgten die Zuhörer einen informativen und zum Nachdenken anregenden Vortrag des langjährigen Amtstierarztes Dr. Rudolf Winkelmayer. Der Vortrag war Teil der Reihe „Talk im Club“ des Club of Rome Carnuntum.

Haben Tiere Gefühle? Bereits eine der ersten Frage des Vortragenden rüttelte an den Zuschauern. Als ehemaliger Amtstierarzt und Inhaber einer Tierarztpraxis sprach Rudolf Winkelmayer aus langjähriger Erfahrung. Er hatte in seiner Laufbahn Einblick in ein breites Spektrum tierischen Lebens.

„Tiere wurden gewaltig unterschätzt“, erläutert er die neuesten Erkenntnisse zum Thema Tierwohl: Alle Wirbeltiere haben ein Bewusstsein und Studien haben gezeigt, dass Tiere sich erinnern und planen. Man denke nur an die Tiere, die Vorräte für den Winter anlegen. Dass Tiere Gefühle haben, weiß jeder Besitzer eines Haustieres.

„Es ist nicht interessant, ob sie denken oder reden können. Entscheidend ist, ob die Tiere leiden“, so Winkelmayer. Tiere hätten ein Interesse zu leben und nicht zu leiden. Im Grunde seien es die gleichen Interessen, wie sie der Mensch hat. Und darin bestehe die Diskrepanz zwischen Tierwohl und Tierrecht, die Problematik im Umgang mit dem Tier in unserer Gesellschaft.

Beim Thema Tierwohl/ Tierschutz herrsche Einigkeit. Den Tieren soll es gut gehen, solange sie leben. Schwierig wird es beim Recht auf Leben. „Und über den Tod von Tieren müssen wir auch reden“, zeigt der Vortragende auf.

In spannenden 60 Minuten wurde den Gästen nahegebracht, dass es zwar viel Ideen, Vorschriften und Verordnungen zum Thema Tierwohl gibt – besonders im Bereich Massentierhaltung. Diese seien aber oft das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. „Das meiste sind wertlose Sonntagsreden.“ Noch immer leiden Zuchttiere unter widrigsten Bedingungen. Aufgezeigt wurden Beispiele in der Schweinezucht, der Hühnerhaltung und der grausame Brauch der Gänsestopfleber-Erzeugung.

Dokumentiert durch Bilder konnten Zuschauer einen Blick hinter die Kulissen der Entstehung des „Schnitzels“ werfen, die oft weder dem Tierwohl noch dem Tierrecht entspricht. Im Vortrag wurde aber auch angesprochen, dass man die Bauern für die Tierhaltung nicht verurteilen könne. Es müsse vielmehr Unterstützung und auch finanzielle Hilfe geben, damit diese aus dem derzeitigen System der Produktion aussteigen können.

Hart ins Gericht ging Winkelmayer auch mit der Werbung, die dem Konsumenten Tierwohl oft vorgaukelt, während die Realität eine ganz andere ist. „Der Konsument wäre entsetzt, wenn er die Wahrheit sehen würde.“ Es brauche einen strengeren Tierschutz ohne die vielen Schlupflöcher. Und – es brauche in Umdenken der Essgewohnheiten. Sein Appell geht in Richtung mehr vegetarische Ernährung und Reduktion des Fleischkonsums. Auch die Auswirkung der Massentierhaltung auf das Klima zu reduzieren.

Obwohl jahrelang selbst begeisterter Jäger, hat Winkelmayer die Jagd schon vor Jahren aufgegeben. „Was mache ich da eigentlich?“ war eines Tages die Frage, die er sich selbst stellte. Und so ging Winkelmayer aus der Erfahrung auch mit so manchem Brauch in der Jagd ins Gericht. Jagd zur Hege habe derzeit noch immer seine Berechtigung. Da der Mensch viele in die natürlichen Prozesse eingreift, sei eine natürliche Regulierung des Wildbestandes ohne Abschuss nicht möglich. Verurteilt hat er hingegen die Jagd aus reinem „Spaß an der Freude“.

„Was mich besonders freut ist, dass heute so viel junges Publikum da ist. Ein Junger ist mir lieber als 5 Alte. Weil die Jungen sind die Zukunft.“ Denn besonders die Jugend soll umsetzen, was er mit Kollegen in der Initiative Bundesjagdgesetz.at initiiert hat. Als Zuhörer – egal ob jung oder älter – hatte man einiges an Überlegungen mit nach Hause zu nehmen. Vielleicht besonders über das Schlusszitat von Winkelmayer: „Man kann die Natur sich selbst überlassen. Heinrich Haller/Biologe.“

  1. März 2024 | Brigitta Trsek

https://www.noen.at/bruck/talk-im-club-frueherer-brucker-amtstierarzt-verurteilt-schlupfloecher-im-tierschutz-413085407

 

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  1. Vortragender Dr. Rudolf Winkelmayer mit Vertretern der Römerland Carnuntum Jugend.
  2. Mehr als 90 Interessierte verfolgten den Vortrag mit großem Interesse.

Talk im Club: Wohin führt uns Künstliche Intelligenz? 

Talk im Club: Wohin führt uns Künstliche Intelligenz? 

Kürzlich erlebte das Dorfgasthaus am Spitz in Höflein einen besonderen Abend, der alle, die an der Schnittstelle von Technologie und Gesellschaft interessiert sind, in seinen Bann zog. Der Club of Rome Carnuntum hatte zu einem Vortrag mit dem renommierten Technologietrendforscher Dr. Mario Herger eingeladen, der unter dem provokanten Titel „Wohin führt uns Künstliche Intelligenz?“ stand.

Dr. Mario Herger, ein gebürtiger Wiener, der seit gut 20 Jahren im Silicon Valley lebt, hat sich durch seine Arbeit als Entwicklungsleiter bei SAP und als Berater für Unternehmen zu einem Experten für Innovation und digitale Transformation entwickelt. Seine Forschungen und Publikationen zu Themen wie autonome Mobilität, Künstliche Intelligenz und das innovative Mindset machen ihn zu einem gefragten Sprecher auf globaler Ebene. In seiner Keynote ging Dr. Herger auf verschiedene Aspekte ein, wie Künstliche Intelligenz (KI) unsere Welt verändern kann. Besonders im Fokus standen die Potenziale der KI, die nachhaltige Transformation zu unterstützen, ihren Wert z.B. in der Medizin darzustellen und die archäologische Forschung zu revolutionieren – ein Aspekt, der auch für die Region Carnuntum von besonderem Interesse ist.

Nach dem Vortrag bot sich den Teilnehmenden die Gelegenheit, in ausführlichen Gesprächen sowohl mit Dr. Herger als auch untereinander tiefer in die diskutierten Themen einzutauchen. Diese interaktive Komponente unterstrich das Ziel der Veranstaltungsreihe „Talk im Club“, nicht nur Expertenwissen zu vermitteln, sondern auch einen offenen Dialog zu fördern, der zum Nachdenken anregt und unterschiedliche Perspektiven aufzeigt. In den Wortmeldungen wurden durchaus auch sorgenvolle und kritische Gesichtspunkte geäußert – wie zum Energieverbrauch der KI und wie dieser nachhaltig gedeckt werden kann.

Für alle, die nicht persönlich anwesend sein konnten, haben wir den Abend mit Dr. Mario Herger auf Video festgehalten. Um einen Teil der Kosten zu decken, senden wir allen Interessierten den YouTube-Link gegen einen Kostenersatz von 10 Euro per E-Mail zu. Bei Interesse bitte um ein E-Mail an anmeldung@clubofrome-carnuntum.at.    

Wir hoffen, dass dieser Abend nicht nur als Informationsquelle dient, sondern auch als Inspiration, um über die Rolle der Künstlichen Intelligenz in unserer Gesellschaft und deren zukünftige Entwicklung nachzudenken. Der Club of Rome Carnuntum setzt sich dafür ein, Themen der Transformation zugänglich zu machen und einen Beitrag zu einer informierten und reflektierten Diskussion zu leisten. Wir danken Dr. Mario Herger für seinen faszinierenden Vortrag und allen 92 (!) Teilnehmenden für ihr Interesse und ihre Beiträge zu einem gelungenen Abend. Bleibt gespannt auf weitere Veranstaltungen, die wir in Zukunft anbieten werden, um den Dialog über nachhaltige und technologische Entwicklungen fortzusetzen.

Der Vorstand des Club of Rome Carnuntum

Wissenschaft und Meditation –

Buchempfehlung:

Wissenschaft und Meditation – Auf dem Weg zur bewussten Naturgesellschaft

Persönliche Vorbemerkung:

O. Univ. Prof. Dr.phil. Dr.h.c.mult. Bruno Buchberger gilt als einer der Top-Informatiker Österreichs, er war 2010 Österreichs Wissenschaftler des Jahres, baute mit dem Softwarepark Hagenberg *) im Mühlviertel ein Kompetenzzentrum mit Weltgeltung auf,… – kurz: er ist eine international anerkannte Persönlichkeit.

Mir wurde Bruno Buchberger schon in den 90ern ein guter Freund, freundschaftlicher Berater, Inspirator, Motivator,…

Im Jänner 2018 verbrachte er mit uns – einer Runde von Mitdenkerinnen und Mitdenkern – zwei Klausurtage, um die Grundzüge eines zwar schon behördlich bewilligten, aber ansonsten noch recht „leeren“ Club of Rome Carnuntum zu entwickeln. Bruno ist also eine Art „Hebamme“ für den Club.

Ob in einem Jagdhaus im Mostviertel, in einem Seminarraum im Römerland Carnuntum, in einem Studentenlokal in Linz, in seinem damaligen Büro in Hagenberg oder bei ihm zu Hause (Anm.: Sein ökologisch, energetisch und baubiologisch außergewöhnliches Haus ziert das Buchcover): Jede Begegnung mit Bruno ist und bleibt in meinem Gedächtnis.

2022 war Bruno Buchberger Gast bei den Rohrauer Gesprächen: https://www.clubofrome-carnuntum.at/event/rohrauer-gespraeche-3/ – genau zu dem Thema seines aktuellen Buches, das wohl sein „Lebensthema“ ist. (Hans Rupp, Februar 2024)

Bruno Buchberger zu seinem Buch:

Wir haben uns in eine schwierige Lage manövriert. Wie kommen wir da wieder heraus? Ist es schon zu spät und werden wir in einer globalen Katastrophe untergehen? Oder werden wir – aufgeweckt durch die nahende Katastrophe – durch Mobilisierung der besten Kräfte eine neue Entwicklungsstufe erreichen?

Auf diese Fragen gibt dieses Buch eine persönliche Antwort:

  • Wir können sehr wohl eine faszinierende und für alle glückliche neue Stufe erreichen.
  • Dazu sollten wir konsequent zwei Wege gehen: Den Weg der Wissenschaft und den Weg der Meditation.
  • Diese Wege sind diametral entgegengesetzt: Wissenschaft ist die immer feinere Durchdringung der Natur mit den Methoden des Intellekts. Meditation ist die ganzheitliche Erfahrung der Natur durch Loslassen des Intellekts.
  • Weder Wissenschaft allein noch Meditation allein ist ausreichend für unser persönliches Glück und für eine glückliche Zukunft der Gesellschaft.
  • Auch ein Mittelweg von „ein bisschen Wissenschaft“ und „ein bisschen Meditation“ ist nicht ausreichend.
  • Der Schlüssel für die Zukunft liegt darin, einen Lebensstil zu erfinden, der grenzenlos wissenschaftlich / technologische Brillanz mit grenzenlos tiefer intuitiver Harmonie mit der Natur verbindet.
  • Dieser Lebensstil kann nicht „ganz oben“ erfunden und dann mehr oder weniger autoritär erklärt, vorgeschrieben und umgesetzt werden. Vielmehr hat jeder einzelne hohe Verantwortung, diesen Lebensstil für sich selbst und gemeinsam für die „Weltfamilie“ zu initiieren und zu entfalten. Dazu soll dieses Buch helfen.

Über das Buch:

Es gibt hunderte Bücher über Wissenschaft und genauso über Meditation. Dieses Buch spannt diese zwei großen diametral entgegengesetzten Richtungen des Bewusstseins und den Raum dazwischen in einer großen Synthese auf. In dieser Synthese spielte der Begriff der „Reflexion“ (das Bewusstsein, das sich seiner selbst bewusst ist) die zentrale Rolle.
Der Autor schöpft hierzu aus fünf Jahrzehnten eigener intensiver Erfahrung als international erfolgreicher Wissenschaftler und geduldiger Meditierender.

Der Inhalt des Buchs:

Ausgehend von der Analyse der heutigen Lage im ersten Kapitel erklärt der Autor im zweiten und dritten Kapitel in einfachen Worten, aber fundiert, was Wissenschaft und was Meditation ist. Im vierten Kapitel fügt der Autor Wissenschaft und Meditation zu einer spannenden Synthese zusammen.

Diese Synthese ist ein Weg, wie die Weltfamilie zu einer nächsten faszinierenden und beglückenden Stufe in der Evolution fortschreiten kann, die der Autor „die bewusste Naturgesellschaft“ nennt. Gleichzeitig gibt das Buch eine praktische Anleitung für jeden einzelnen, wie er die zwei Welten – die Welt des Intellekts und die Welt der Stille – durch Üben für sich entwickeln kann. Durch Üben entsteht graduell die Einsicht, was „der Sinn des Ganzen“ ist, und die Fähigkeit, sinnvoll zur Evolution beizutragen und damit glücklich zu werden.

Lassen Sie sich durch das Buch inspirieren, „den Sinn des Ganzen“ zu verstehen und Ihren eigenen Weg zu persönlichem und gesellschaftlichem Glück zu entwickeln!

 

*) Der Softwarepark Hagenberg

ist Forschungs-, Ausbildungs- und Wirtschaftsstandort. Als Spin-off der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz, gegründet von Univ.-Prof. Dr. Bruno Buchberger, trägt er wesentlich zur Innovationskraft Oberösterreichs bei. Modernste Infrastruktur, sowie ein vielfältiges Netzwerk aus erfahrenen Branchenexpert:innen, jungen Kreativen und wissbegierigen Studierenden zeichnen den Softwarepark aus. Insbesondere diese Synergie ist ein wesentlicher Teil des Erfolgsrezeptes. Denn der Softwarepark ist ein Ort der Kommunikation und Begegnung an dem mehr als 3.100 Menschen arbeiten, forschen, lehren, lernen und leben. – https://www.softwarepark-hagenberg.com/

KI und Führung

Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg:

KI und Führung

„KI ist wahrscheinlich DAS BESTE oder DAS SCHLIMMSTE, was der Menschheit passieren kann“, wird Stephen Hawking zitiert. KI wird das Privatleben, die gesamte Gesellschaft, Politik und Wirtschaft grundlegend verändern. Mehr als wir uns das heute vorstellen können. Club-Mitglied Anabel Ternès von Hattburg hat die Fähigkeit, komplexe Themen – rund um Nachhaltigkeit im weitesten Sinn – in einfache Worte zu kleiden. Wie hier zum Thema KI:

„KI ist wirklich cool.“ Der Geschäftsführer einer Einheit eines großen Konzerns lachte. „Damit sparen wir mindestens eine Mitarbeiterin im Social Media ein. Wir müssen nichts mehr selbst schreiben. Das macht jetzt alles die Technik.“

Ich schaute erstaunt hoch. Aber was ist mit Authentizität? „Na ja“, er lachte, „ist ja von uns in Auftrag gegeben, sozusagen, da stehen wir ja hinter.“ Aber was ist mit O-Tönen, wahren Geschichten, genau so passierten Inhalten, was ist mit der emotionalen Energie, die bei maschinell erstellten Texten fehlt? Er schaute mich erstaunt an. „Darüber hab ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Klar, die Authentizität geht verloren. Wir haben nur gedacht, dass das ja schneller geht und günstiger ist. –  Meinst Du, die FollowerInnen von uns merken den Unterschied? Meinst Du nicht, die lassen sich auch vom maschinellen Text beeindrucken? Die Texte sind doch mittlerweile so gut. Ich hab letztens mal einfach so ein paar Worte eingegeben und da kam ein richtig cooler Liebesbrief an meine Frau raus. So etwas Tolles könnte ich nie schreiben. Und auch letztens für eine Grabrede. Hab einfach ein paar Worte eingegeben und schon kam ein besserer Text, als ich ihn jemals hätte selbst schreiben können. Findest Du das doof?“

Ich überlege. Nun ja, wenn Du einen Text als von Dir geschrieben ausgibst, dann stimmt es ja nicht, wenn Du ihn hast schreiben lassen. Auch, wenn das keiner kontrollieren kann. Aber geht es darum, dass wir das kontrollieren müssten?

Die Frage der Ethik bei KI beginnt früh. Die Frage der Verwendbarkeit von KI auch. KI ist unglaublich verlockend. Mitarbeitende aufgrund ihres Schreibverhaltens, wie elaborierter Sprachcode, Schnelligkeit des Schreibens, Menge an Text, Häufigkeit wiederholter Worte, meistverwendete Worte etc. per KI einzuschätzen und das als Grundlage für die weitere Unterstützung im Unternehmen im Hinblick auf die Karriere zu nehmen – solche Versuche gibt es schon seit Jahren.

Was klar ist: KI und Leadership, das eröffnet ganz viele Chancen. Sich darüber auszutauschen – und damit über die Leadership-Skills der Zukunft, darauf freue ich mich: Schreiben Sie an JA@clubofrome-carnuntum.at – die Antworten stehen dann wieder hier, in der Club-Homepage.

Anabel Ternès von Hattburg, im Jänner 2024

https://anabelternes.de/vita/

 

Prof. Dr. Anabel Ternès ist auch Keynote-Speakerin, Fach-Moderatorin und Impulsgeberin zu Themen rund um Zukunft, Nachhaltigkeit und Digitalisierung: https://anabelternes.de/keynotes/

 

Wir sind nicht dafür gerüstet

Klimawandel:

„Wir sind nicht dafür gerüstet“

Der Klimawandel wird in Niederösterreich künftig vor allem die Landwirtschaft fordern, sagt Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der dem Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg (Bezirk Mödling) vorsteht. Ihm fehlt eine klare Klimastrategie.

Hans Joachim Schellnhuber gehört zu den weltweit renommiertesten Klimawissenschaftlern. Der deutsche Forscher ist bekannt für seine bahnbrechenden Arbeiten zur Erdsystemanalyse und hat maßgeblich zur weltweiten Anerkennung des Klimawandels beigetragen. Schellnhuber war Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gremien. Unter anderem beriet er etwa 20 Jahre lang Angela Merkel in Klimafragen, nun tut er dies für die EU-Kommission.

Der deutsche Wissenschaftler ist langjähriges Mitglied des Weltklimarats (IPCC). Seit Dezember leitet er das Internationale Institut für angewandte Systemanalyse in Laxenburg (IIASA). „Der Begriff System heißt, dass man einen ganzheitlichen Blick auf die Dinge tut“, sagt der Wissenschaftler im Interview mit ORF-Niederösterreich-Chefredakteur Benedikt Fuchs.

„Die Klimakrise ist deswegen so wichtig zu behandeln, weil sie das Nichtstun am härtesten bestrafen wird. Viele Menschen haben natürlich viel größere Alltagssorgen, das ist klar. Man denkt: Ja, Klimawandel ist etwas, das vielleicht in 20, 30, 40 Jahren wirklich wichtig wird und einen in seinem täglichen Leben bedroht. Aber die Versäumnisse, die wir heute machen, die werden am schärfsten bestraft durch den Klimawandel.“

Hitzephasen mit bis zu 47 Grad

Laut Schellnhuber wird die Erderwärmung spätestens bis zum Ende des Jahrhunderts deutlich über zwei Grad liegen. „Für die Kontinente bedeuten zwei Grad Erderwärmung drei bis vier Grad Erwärmung – und wenn wir jetzt in eine Gegend gehen wie hier in die pannonische Ebene, dann liegen wir bei vier bis fünf Grad Erwärmung“, so der Klimaforscher. Schellnhuber spricht von Spitzen im Sommer von 45 bis 47 Grad. Das stelle Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Tourismus vor sehr große Herausforderungen. „Wir sind nicht dafür gerüstet“, sagt er im Interview ganz klar.

Gerade weil Niederösterreich ein Agrarbundesland ist, werde es besonders gefordert sein, sagt Schellnhuber. Für ihn hinkt die niederösterreichische Klimapolitik hinterher, wie er sagt. Es brauche ein Klimagesetz und eine Strategie, so der Experte. „Man hofft, dass man sich mit Durchwursteln irgendwie zurechtfinden wird.“

Neue Strategien für Landwirtschaft

Laut Schellnhuber werde man in eine Phase gehen, wo es sowohl größere Hitzewellen geben dürfte als auch Episoden mit starken Niederschlägen. „Es wird also tendenziell nicht trockener auf der Erde mit der Erderwärmung, sondern es wird feuchter – allerdings nur in bestimmten Regionen. Wenn diese Starkregen herunterkommen, dann muss ich im Grunde genommen dafür sorgen, dass die vernünftig aufgesogen werden.“ Eine Versiegelung von landwirtschaftlichen Flächen sei daher höchst problematisch, da versiegelte Flächen nicht wie ein Schwamm wirken können, wenn Niederschläge fallen.

Genauso müsse man dafür sorgen, dass man durch einen heißen Sommer komme, wenn es 45 oder 46 Grad warm wird – mit den Pflanzen und Feldfrüchten, die angebaut werden. „Das heißt, ich muss eine Strategie entwickeln: Welche Feldfrüchte, welche Obstbäume, welche Weinkulturen sind wirklich in der Lage, damit mitzugehen.“ Für den deutschen Klimaexperten wird es durch die Erderwärmung Gewinner und Verlierer geben. „Wenn ich jetzt eine vorausschauende Entwicklungspolitik übernehme, dann kann ich zu den Gewinnern gehören“, so der Experte.

Benedikt Fuchs, noe.ORF.at, 20.1.2024

https://noe.orf.at/stories/3241353/

Internationales Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA)

 

Bericht:

„Auf dem Weg zur Klimaneutralität der EU: Fortschritte, politische Lücken und Chancen“

https://iiasa.ac.at/news/jan-2024/keywan-riahi-and-joeri-rogelj-are-part-of-eu-advisory-board-outlining-13-key-steps

Eine der wesentlichen Aussagen darin:

Gewährleistung eines gerechten Übergangs und der öffentlichen Unterstützung

Ein fairer Übergang ist notwendig, damit die Menschen den Klimaschutz unterstützen. Um dies zu erreichen, schlägt der Beirat eine gründliche Bewertung der möglichen sozioökonomischen Auswirkungen von Klimamaßnahmen vor. Der Vorstand empfiehlt außerdem, Maßnahmen zu ergreifen, die Ressourcen an die am stärksten Betroffenen verteilen. Die Planung der Klimapolitik und der damit verbundenen sozialen Maßnahmen sollte auf einem offenen und inklusiven Prozess beruhen.

 

„AUFTRAGSVERGABEN ALS WIRKUNGSVOLLER HEBEL FÜR DIE GESTALTUNG UNSERER ZUKUNFT“

Kommentar von Club-Mitglied Dr. Robert Fink

 zum PRESSE-Gespräch mit dem Vergaberechts-Spezialisten RA Mag. Martin Schiefer:

„AUFTRAGSVERGABEN ALS WIRKUNGSVOLLER HEBEL FÜR DIE GESTALTUNG UNSERER ZUKUNFT“ – veröffentlicht am 5.11.2023 in der Club-Homepage:

https://www.clubofrome-carnuntum.at/2023/auftragsvergaben-als-wirkungsvoller-hebel-fuer-die-gestaltung-unserer-zukunft/

Zu Robert Fink:

  • med.vet.
  • Aufgewachsen in kleinbäuerlicher Umgebung (Eltern waren Nebenerwerbsbauern)
  • 31 Jahre eigene tierärztliche Gemischtpraxis (Nutz- und Hobbytiere)

Parallel dazu:

  • 14 Jahre Amtstierarzt beim Land NÖ und der BH Wien-Umgebung
  • 12 Jahre Geschäftsführer des Tiergesundheitsdienstes Burgenland
  • 8 Jahre Landesveterinärdirektor Burgenland
  • Hobbyimker

 

„Ich teile die Meinung von Mag. Schiefer vollinhaltlich. Insbesondere, wenn man die erforderlichen Reparaturkosten umweltbedenklicher Produktionen und Verbringungen in die tatsächlichen Gesamtkosten miteinrechnet, ist eine gezielte Förderung von unbedenklicher Produktion mehr als gerechtfertigt und rechnet sich für den Fördergeber auch.

 

Als Beispiel nehme ich die landwirtschaftliche Produktion. Jeder Biobetrieb unterliegt genauen und kontrollierten Produktionsbedingungen, die vor allem den Einsatz von Pestiziden und Düngemittel reduzieren bzw. hintanhalten und damit den Eintrag bedenklicher, im natürlichen Boden nicht vorkommender Stoffe, zumindest sehr stark verringern. Dies führt dann fast automatisch zu einer größeren Diversität beim Anbau und daraus resultierend einer variableren Fruchtfolge, zu genauerer Beobachtung des Wachstums, zu einer Verbesserung des Bodenlebens usw. Damit ist der Weg zur Kreislaufwirtschaft fast vorgezeichnet. Reparaturkosten für die Öffentlichkeit entstehen bei dieser Bewirtschaftungsform nicht oder kaum.

 

Die Biolandwirtschaft ist wesentlich aufwändiger, fordert dem Bauern viel Wissen, Erfahrung, Kenntnis der biologischen Zusammenhänge und auch Risikofreude und Engagement ab. Schädlingsdruck kann nicht mit chemischen Mitteln begegnet werden und kann nur durch mehr Pflegearbeit soweit möglich verringert werden, mit dem Risiko einer geringeren Ernte. Unter diesen Produktionsvoraussetzungen kann man nicht erwarten, dass diese Produkte unter den üblichen marktwirtschaftlichen Mechanismen vermarktet werden können; da muss es mehr Sicherheit geben. Die Ernte des letzten Jahres musste beispielsweise zu wesentlich schlechteren Bedingungen verkauft werden, das ist in der Biolandwirtschaft finanziell kaum durchzustehen. Die „Überschussware“, die als Bioware wegen zu geringer Nachfrage nicht verkauft werden kann, muss zum Preis herkömmlich produzierter Ware vermarktet werden – das kann sich nicht ausgehen.

Bisher habe ich nur die pflanzliche Produktion mit den messbaren Größen des Produktionsaufwandes und der Erlöse angeführt. In der tierischen Produktion kommen noch zusätzliche Parameter wie Genetik und Tierhaltung mit Tierschutz entlang des gesamten Produktionsablaufes dazu – diese sind oft nicht mit Geld bewertbar.

Es ist daher unbedingt notwendig den bestehenden „Aktionsplan des Bundes zur nachhaltigen Beschaffung für den Einsatz von Bio-Lebensmitteln in öffentlichen Kantinen“ auszubauen und zumindest auf öffentliche und kommunale Großküchen auszuweiten. Die Biobauern hätten damit eine gewisse Abnahmesicherheit und damit verbunden sollte eine Mindestpreisgarantie sein. Damit schließt sich der Kreis zur „Auftragsvergabe als wirkungsvoller Hebel“. Bei der Abnahme von Bioprodukten sollte zusätzlich auch die regionale Produktion in die Preisgestaltung miteinbezogen werden.

 

Wo wäre der Benefit für die Gesellschaft?

  • Die Biobewirtschaftung könnte ausgeweitet und damit die Folgeschäden durch die konventionelle Produktion hintangehalten werden.
  • Es würde ein größerer Personenkreis mit Bioprodukten versorgt.
  • Die Bioproduktion ist wesentlich weniger von Betriebsmitteln, die zum Teil aus dem Ausland bezogen werden (z.B. Ausgangsstoffe für die Pestiziderzeugung, Düngemittel,…), abhängig. Damit wäre in Krisenzeiten eine höhere und sicherere Eigenversorgung und mehr Unabhängigkeit von ausländischen Firmen gegeben.
  • Durch die Vermeidung von Folgeschäden würden die Gesamtkosten für die Allgemeinheit nicht steigen.
  • Wahrscheinlich wäre auch eine größere genetische Diversität.

 

Es wäre auch zu überlegen, ob man nicht eine Unterscheidung zwischen bäuerlicher und landwirtschaftlich-industrieller Produktion einführen sollte. Diese Unterscheidung ist bei Handwerk und Industrie eine Selbstverständlichkeit, obwohl im Grenzbereich eine klare Trennung oft nicht einfach ist.

 

Was charakterisiert eine industrielle Produktion? Das ist ein umfangreicher Maschineneinsatz, Arbeitsteilung, Spezialisierung, fachliche Qualifikation, Betriebsgröße usw. – eine eindeutige Definition gibt es nicht.

Wenn man diese paar Punkte genau betrachtet, dann hat der Biobauer wesentlich mehr händischen Einsatz, er produziert in Kreislaufwirtschaft oder zumindest in diese Richtung mit einer großen Produktpalette, fachliches Wissen vereint mit viel Erfahrung und genauer Beobachtung sind eine unabdingbare Voraussetzung. Unter diesen Voraussetzungen ist meist auch nur ein kleinerer Betrieb führbar – damit wären wir beim österreichischen bäuerlichen Familienbetrieb.

 

Derzeit kauft der meist kleinere (Bio-)Betrieb seine Betriebsmittel teurer als der Großbetrieb ein, produziert wesentlich teurer und muss dann mit seinen Produkten auf dem gleichen internationalen Markt vermarkten – ausgenommen Biobetriebe –, die aber die Bio-Überschussware auch auf diesen Markt bringen müssen. Die kleinen Betriebe geben nur das Image für die Vermarktung der industriell oder semiindustriell produzierenden Landwirtschaftsbetriebe her. Sie sorgen für die schönen Fotos mit alten Almhütten, blühenden abwechslungsreichen Feldern, Kühen im „Blumenmeer“ usw.

 

Ich höre schon den Aufschrei: „Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren“. Im jetzigen System sind die, die für die schönen Fotos sorgen, die Benachteiligten. Sie sind in den Interessensvertretungen nicht so stark vertreten, sie haben keine laute Stimme und sie geben still und leise ihre Höfe auf – auch da dienen sie dann noch als statistische Beweise, wie schlecht es allen Bauern geht.

 

Der Vorschlag der Trennung von kleinen (Bio)betrieben und industriell geführten Landwirtschaftsbetrieben zielt nicht dazu ab diese zu diskreditieren, sondern um für klare Verhältnisse zu sorgen. Es kann und soll auch die industriell geführten Betriebe geben, diese spielen aber in einer anderen Liga und das soll transparent erkennbar sein.

 

Der Fördergeber soll die Spielregeln neu und klar festlegen und dort verstärkt fördern, wo eine nachhaltige Produktion möglichst ohne oder mit nur geringen Folgekosten gesichert ist. Dies gilt nicht nur für die landwirtschaftliche Produktion, die Berücksichtigung der Folgekosten sollte in allen Wirtschafts-, Produktions- und Lebensbereichen eine Selbstverständlichkeit sein.

 

Dr. Robert Fink, im Jänner 2024

 

Mit diesem Kommentar eröffnen wir die Diskussion – sowohl zum PRESSE-Gespräch als auch zu den Aussagen von Robert Fink. Schreibt uns an JA@clubofome-carnuntum.at und wir veröffentlichen auch eure Stellungnahmen – in der Club-Homepage und zusätzlich in Sozialen Medien.